Im Pflegeheim geht die Angst um

Große private Wohnungsvermieter entdecken nun auch die Altenpflege als Kapitalanlage

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Im »Seniorendomizil« herrscht große Unruhe. Bei einem kurzfristig angesetzten Diskussionsabend mit Angehörigen wurde den rund einhundert Bewohnern überraschend mitgeteilt, dass sie sich innerhalb von zwei Monaten eine neue Bleibe suchen sollen. Auch die Zukunft der Beschäftigten ist ungewiss. Eine Mitarbeiterin schildert der regionalen Zeitung unter Tränen, wie es um das Haus bestellt ist: Die Stimmung sei katastrophal. Das wenige Personal mache Überstunden, um die Senioren weiterhin einigermaßen zu versorgen. Der Belegschaft liege am Herzen, dass »ihr« Heim weiter besteht, allerdings unter neuer Leitung. »Wir fürchten, dass einige Senioren einen Umzug nicht überleben würden«, sorgt sich die Altenpflegerin.

Dieser Fall ereignete sich im Hochsommer in der Nähe von Hannover. Vor dem Rauswurf der alten Menschen aus ihrem »Domizil« gab es einen jahrelangen Streit zwischen dem privaten Hauseigentümer und dem privaten Heimbetreiber wegen Baumängeln, Pachtkürzungen und Kündigungen. Die Immobilien wurden zwischenzeitlich an einen Dritten verkauft, der Heimbetrieb an einen Liquidator übergeben. Derweil zahlten die Bewohner ihre Beiträge weiterhin in voller Höhe an den Heimbetreiber.

Dies ist sicherlich ein extremes Beispiel dafür, wohin die Privatisierung der Altenpflege führen kann. Denn der Staat zieht sich immer weiter als Anbieter zurück. Vermutlich wird sich in jenem Fall ein neuer Betreiber finden, der das heruntergekommene Heim weiter betreibt. Denn das Geschäft mit den Alten gilt in der Wirtschaft als Zukunftsmarkt.

Laut Statistischem Bundesamt ist entgegen der öffentlichen Wahrnehmung zwar lediglich jeder siebte 75- bis 84-Jährige ein Pflegefall. Doch die demografische Entwicklung führt dazu, dass es immer mehr ältere Menschen geben wird. Dadurch soll die Anzahl pflegebedürftiger Personen von heute knapp drei Millionen bis zum Jahr 2060 auf rund fünf Millionen steigen, sagt das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung voraus.

Darauf ist weder die Immobilienbranche noch die Pflegeindustrie wirklich vorbereitet. »In den nächsten Jahren wird die zunehmende Alterung der Gesellschaft voraussichtlich zu Engpässen bei stationären Pflegeplätzen und Pflegepersonal führen.« Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen und der Unternehmensberatung Deloitte.

Wachsende Nachfrage und knappes Angebot bilden einen idealen Nährboden für Investoren. Das entdecken nun auch branchenfremde Unternehmen. Bislang dominieren neben den Wohlfahrtsverbänden und dem Staat spezialisierte private Anbieter wie Alloheim, Kursana oder Curanum den Heim-Markt. Teilweise spielen im Hintergrund internationale Finanzinvestoren mit. Schließlich lockt der deutsche Immobilienmarkt mit seinem Superzyklus Anleger aus aller Welt an.

Nun setzt auch der Konzern Deutsche Wohnen SE seine Expansion mit Pflegeheimen fort. Das zweitgrößte deutsche Immobilienunternehmen erwirbt 30 Heime mit rund 4700 Pflegeplätzen. Überwiegend liegen diese in Metropolen und bieten laut Firmenangaben »überdurchschnittliche« Qualitäten und Lagen. Der Kaufpreis liegt bei 680 Millionen Euro. Der Großteil der Häuser ist langfristig vermietet oder verpachtet. Bei 13 Häusern in Hamburg beteiligt sich die Deutsche Wohnen zudem am Betrieb der Einrichtungen. Man wolle »von den positiven Makrotrends im Pflegemarkt stark profitieren«, sagte Vorstandsvorsitzender Michael Zahn bei der Vorstellung seiner Pläne Mitte August in Berlin.

Wie profitabel der Pflegemarkt bisher gewesen ist, bleibt indes umstritten. Die Bundesbank kommt in ihrer Analyse der Jahressabschlüsse deutscher Unternehmen von 2015 »nur« auf eine durchschnittliche Umsatzrendite von netto 2,7 Prozent. Das wäre aber schon höher als im Einzelhandel und entspräche etwa der Rendite im Wohnungsgeschäft. Die hohe Nachfrage der Verbraucher und das geringe Angebot sollten allerdings die Preise und damit die Profite in den kommenden Jahren weiter in die Höhe treiben.

Davon dürften vor allem die Betreiber hochpreisiger Heime profitieren, deren Kunden nicht allein auf die Zahlungen der staatlichen Pflegeversicherung angewiesen sind. Deutsche-Wohnen-Boss Zahn beziffert denn auch die erwartete Rendite der Zukäufe auf rund fünf Prozent.

Von der Bundesregierung haben die Pflegeprofiteure wenig zu befürchten. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hält eine gesetzliche Beschränkung erst ab einer zweistelligen Rendite für vorstellbar - und »wenn sich das vernünftig regulieren lässt«, wiegelte er gegenüber einer Wochenzeitung gleich doppelt ab.

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