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Stockende Aufarbeitung
Mehrere anstehende Berichte drohen unangenehm für die Regierung Myanmars zu werden
Die nächsten Tage und Wochen dürften unangenehm werden für die Regierung in Myanmar. Am Samstag jähren sich die Angriffe der Terroristen der Arakan Rohingya Salvation Army auf mehrere Polizei- und Militärposten im Bundesstaat Rakhine, worauf eine gnadenlose Vertreibungsaktion durch Teile des Militärs gestartet wurde. Bis zu 700.000 der muslimischen Minderheit flüchteten daraufhin ins benachbarte Bangladesch, wo die meisten von ihnen bis heute unter widrigen Umständen in Flüchtlingscamps feststecken. Noch immer gibt es weder die Aussicht auf eine Lösung noch die auf Aufklärung der Ereignisse des vergangenen Jahres. Und nun stehen eine Reihe von Terminen und Veröffentlichungen an.
Am Dienstag, den 28 August trifft sich der UN-Sicherheitsrat, um die Bemühungen Myanmars zu bewerten, den Konflikt zu lösen. Die regierende National League for Democracy von Friedensnobelpreisgewinnerin Aung San Suu Kyi wird sich wohl nicht auf den Termin freuen, da niemand erwartet, dass der Rat Fortschritte attestieren wird - weder bei der Aufklärung der Gewalt im vergangenen Jahr noch bei der Verbesserung der Lebensverhältnisse der verbliebenen Rohingya in Rakhine oder bei den Vorbereitungen für eine sichere und würdevolle Rückkehr der Vertriebenen aus Bangladesch.
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Vor über zwei Monaten hat die Regierung eine geheime Absichtserklärung mit dem UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) sowie dem UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) unterschrieben. Doch außer dem Bau einiger Straßen ist nicht viel passiert. Erst kürzlich wies die UNO in einem Statement daraufhin, dass es zwar ermutigende Signale aus der Hauptstadt Naypyidaw gab: die Einrichtung eines Umsetzungskomitees etwa, Besuche im Norden des Bundesstaates Rakhine oder auch Erstbewertungen durch UNDP und UNHCR. Doch es fehle ein »greifbarer Fortschritt« bei der Umsetzung der Absichtserklärung. Bis jetzt gibt es keine Erlaubnis aus Naypyidaw, dass UN-Personal dauerhaft im Norden von Rakhine stationiert werden darf.
In den kommenden Wochen steht nun die Veröffentlichung einer Reihe von Berichten an, die den Druck auf die Regierung und das Militär weiter erhöhen könnten. Neben dem Bericht der UN-Untersuchungsmission, - die nicht nur die Gewalt im Vorjahr dokumentiert, sondern auch bei anderen Konfliktherden im Norden Myanmars seit 2011 - legen auch das US-amerikanische Außenministerium sowie der UN-Sonderberichterstatter für Myanmar, Yanghee Lee, Berichte vor; letzterer vor der UN-Vollversammlung. Auffallend ist, dass bisher niemand die Ereignisse des vergangenen Jahres einen Genozid nannte - Yanghee Lee sprach von »Kennzeichen« eines Genozids, und aus einer geleakten Version des Berichts des US-Außenministeriums geht hervor, dass es darüber unterschiedliche Einschätzungen gibt, wie die Gewalt einzuordnen ist.
Es ist vor allem aber die anstehende Entscheidung Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag, Untersuchungen wegen Vertreibung aufzunehmen, die dann zu einer Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Führungskräfte des Militärs und der Regierung führen könnten. Vergangene Woche hatte das Büro von Aung San Suu Kyi eine Zurückweisung der Voruntersuchungen des Internationalen Strafgerichtshofes veröffentlicht und auch den Nachbarn Bangladesch für dessen Kooperation dabei angegriffen.
Um diese Untersuchungen zu verhindern, hatte die Regierung Ende Juli selbst eine Kommission gegründet, um die Berichte über Menschenrechtsverletzungen in Rakhine zu analysieren. Das Gremium ist mit dem früheren philippinischen Botschafter Rosario Manalo, dem früheren japanischen UN-Botschafter Kenzo Oshima sowie mit Aung Tun Thet und Mya Thein, zwei Beamten aus Myanmar, eigentlich hochkarätig besetzt. Allerdings fehlen ihm bis jetzt Vorgaben für Umfang und Zeitrahmen der Untersuchungen sowie die Mittel, um umfangreiche forensische Analysen vorzunehmen.
Sollte die Regierung allerdings darauf hoffen, dass die Kommission die Kritik aus dem Westen abschwächen wird, dürfte sie sich täuschen. Der prominente US-Diplomat Bill Richardson, der im Januar aus einer von Suu Kyi einberufenen Beratergruppe unter Protest ausgetreten war, tat die Kommission bereits als reine Propaganda ab. »Das Militär wird null Kooperation zeigen, und die Regierung wird unfähig und nicht gewillt sein, Druck auszuüben.« Aus der Rohingya-Community kommt die Kritik, dass keiner von ihnen in der Kommission dabei ist.
Es ist aber nicht so, dass sich Kritik ausschließlich an die Regierung richtet. Fast zeitgleich mit der Unterschrift der Absichtserklärung zwischen Regierung und den UN-Organisationen veröffentlichte die Denkfabrik Fieldview Solutions den Bericht »Time to Break Old Habits« (»Zeit, alte Gewohnheiten zu überwinden«). Er wirft dem Hilfs- und Geberorganisationen Mittäterschaft an der Aufrechterhaltung der Bedingungen vor, die in Rakhine die jüngsten Gewaltausbrüche ermöglichten. Zudem fordert der Report ein konfrontativeres Vorgehen gegen die Regierung.
Andere Stimmen warnen vor der Verurteilung der Regierung und Suu Kyi. Ihr australischer Berater Sean Turnell sagte gegenüber der in Hong Kong erscheinenden Tageszeitung »Asia Times«, natürlich sei eine Überschrift »Friedensnobelpreisträgerin beaufsichtigt Genozid« verdammt gut, allerdings sei die Situation hinter geschlossenen Türen in Myanmar nuancierter. Denn laut der Verfassung von 2008 hat die zivile Regierung absolut keinen Zugriff auf das Militär, weder rechtlich noch tatsächlich. Darüber hinaus läuft sie Gefahr, dass im Fall eines ausgerufenen Ausnahmezustandes der Oberbefehlshaber totale Kontrolle im Land übernimmt. Genauso wenig ist das Militär ein geschlossener Block - auch innerhalb der Streitkräfte gibt es unterschiedliche Meinungen und Ansätze.
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