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Geflüchtete verlassen »Diciotti«
Staatsanwaltschaft reicht Klage gegen Innenminister Matteo Salvini wegen Menschenraubs ein
Nach zehn Tagen auf dem Küstenwachschiff »Diciotti« durften in der Nacht zum Sonntag die restlichen 137 Flüchtlinge von Bord gehen und sich in die Pflege des Roten Kreuzes und anderer Hilfsorganisationen begeben. Nach erkennungsdienstlicher Aufnahme wurde die Mehrheit der überwiegend aus Eritrea stammenden Menschen in eine bischöfliche Einrichtung nach Messina gebracht, wo sie sich von den Strapazen der Flucht erholen können. 20 Flüchtlinge in gesundheitlich gutem Zustand werden weiter nach Albanien gebracht, dieselbe Anzahl wird ihre Reise in Irland beenden. Damit hat die Odyssee für die Menschen erst einmal ein Ende gefunden, ein juristisches und politisches Nachspiel indes beginnt nun erst.
Die zunächst gegen »Unbekannt« laufende Ermittlung der Staatsanwaltschaft von Agrigento hat nun einen Adressaten gefunden. Staatsanwalt Luigi Patronaggio reichte vor dem Tribunale dei Ministri (Gerichtshof für Straftaten von Regierungsmitgliedern) in Palermo Klage gegen den Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini wegen »Menschenraubs, ungesetzlichen Festhaltens sowie Amtsmissbrauch« ein. Rein rechtlich dürfte dem Vizepremier damit auch Untersuchungshaft sowie ein Amtsenthebungsverfahren drohen. Entsprechend aggressiv waren die Reaktionen Salvinis. Er drohte damit, eine Justizreform in Gang zu bringen, nach der man die unliebsamen Staatsanwälte von Seiten der Regierung suspendieren könne. Dies erinnert an die Bestrebungen des früheren Regierungschefs Silvio Berlusconi, der ebenfalls gegen die jeweiligen gegen ihn unternommenen juristischen Verfahren mit politischen Mitteln vorgehen wollte. Kein Wunder, dass Salvini vom Ex-Cavaliere Beifall für seine Attacken gegen die Justiz erhielt. Wörtlich hatte der Innenminister erklärt, die Justiz verschwende »öffentliche Mittel, um gegen einen Minister zu ermitteln, der nur das Land schützt«. Der nationale Richterbund protestierte gegen den neuerlichen Versuch eines Regierungsmitglieds, auf die Unabhängigkeit der Justiz Einfluss nehmen zu wollen. »Die einzige Autorität, die in dem vorliegenden Verfahren entscheiden kann, sind die Verfassung und die Gesetze der Republik«, heißt es in einem Schreiben der Generalexekutive. Niemand sonst habe »das Recht, in ein Justizverfahren einzugreifen, nicht einmal ein Mitglied der Regierung«.
Aus der Politik kamen unterschiedliche Reaktionen auf Salvinis Attacken. Ex-Premier Matteo Renzi nannte das Agieren des Innenministers eine »nationale Schande«. Die Ex-Parlamentspräsidentin und frühere Hohe Flüchtlingskommissarin der UN, Laura Boldrini, verurteilte die Haltung Salvinis gegenüber den Flüchtlingen als »inhuman«. Und der Koalitionspartner Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung forderte Salvini auf, die »Ethik-Regeln der Sterne-Bewegung« einzuhalten, wenngleich er sich dafür aussprach, dass er seine Posten in der Regierung behalten soll.
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