Heftiger Streit um Paragraf 219 a

Verteidigung hält die Vorschrift für verfassungswidrig und den Richter für befangen

  • Lesedauer: 2 Min.

In dem Kasseler Verfahren gegen zwei Frauenärztinnen wegen unzulässiger Werbung für Abtreibungen hat es am Mittwoch noch kein Urteil gegeben. Grund ist ein Befangenheitsantrag der Verteidigung gegen den Vorsitzenden Richter. Er hatte zuvor mehrfach Beweisanträge abgelehnt. Durch Vernehmung eines Experten wollte die Verteidigung beweisen, dass die Strafvorschrift des Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs verfassungswidrig ist. Über den Befangenheitsantrag muss nun ein anderer Richter entscheiden.

Auf der Homepage ihrer Gemeinschaftspraxis führen die angeklagten Ärztinnen Natascha Nicklaus und Nora Szász den Schwangerschaftsabbruch unter den medizinischen Leistungen ihrer Praxis auf. Laut Paragraf 219a ist es strafbar, »seines Vermögensvorteils wegen« Schwangerschaftsabbrüche anzubieten. Dies hält die Staatsanwaltschaft hier für gegeben.

»Wir können bis heute nicht erkennen, dass wir gegen das Gesetz verstoßen«, sagte Ärztin Nicklaus. Ihre Anwältin Gabriele Heinecke erklärte, beide Frauen würden wenn nötig bis vor das Bundesverfassungsgericht oder auch den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg ziehen.

Die Angeklagten bestreiten finanzielle Motive. »Unsere Motivation war, Patientinnen deutlich zu machen, dass wir auch ungewollt Schwangeren zur Seite stehen«, so Nicklaus. Zusammen nahmen beide Ärztinnen nach eigener Aussage 10 bis 15 Abbrüche pro Jahr vor. Dies bringe weniger Honorar als die Betreuung Schwangerer. Strafverteidiger Knuth Pfeiffer kritisierte die Strafvorschrift als »Maulkorb« und »Vorfeldkriminalisierung«. Der Hinweis auf ein straffreies medizinisches Angebot könne selbst nicht strafbar sein. Das Gesetz greife hier unnötig und überzogen in die Berufsfreiheit ein. Ein standesrechtliches Verbot kommerzieller Werbung reiche aus. Auch die Meinungsfreiheit, die Informationsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen seien verletzt. Mit einem Beweisantrag will die Verteidigung belegen, dass das Abtreibungsverbot und insbesondere auch der Strafparagraf 219a sich nicht positiv auf den Schutz des ungeborenen Lebens auswirken.

Nach Angaben der Angeklagten in Kassel kam die Strafanzeige von zwei »selbst ernannten Lebensschützern«. Diese gehen bundesweit gegen mehrere Hundert Ärztinnen und Ärzte vor. AFP/nd

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