- Berlin
- Protest in Berlin
8000 gegen Fremdenhass
Aufzug mit vielen Teilnehmern in Neukölln / Aktion vor sächsischer Landesvertretung
»Nazis sind nerviger als das Berliner Wetter.« Was am Donnerstagabend auf einem Schild zu lesen war, fasst die Situation gut zusammen. Trotz Regens war die Beteiligung an der antirassistischen und antifaschistischen Demonstration in Neukölln riesig. Bei der Abschlusskundgebung erklären die Veranstalter: Wir haben mehr als als 8000 Teilnehmer gezählt. Die Polizei spricht von über 5000. Unter dem Motto »Ob Chemnitz oder Neukölln: Auf die Straße gegen rechte Gewalt« hatten die Bezirksverbände der Linksjugend Solid, die Sozialistische Alternative Voran (SAV) und die Linkspartei Neukölln dazu aufgerufen, sich am Hermannplatz zu versammeln.
Dort fand am frühen Abend eine mehr als einstündige Auftaktkundgebung mit Musik und Redebeiträgen statt, wobei letztere auch in Gebärdensprache übersetzt wurden.
Die trotzkistische Jugendgruppe »Revolution« erklärte, die rassistischen Ausschreitungen in Chemnitz hätten gezeigt, dass man »kein falsches Vertrauen in die Polizei und den Staat« haben dürfe. Marcus Staiger von der Aktion »Bürger_innen Asyl Berlin«, die von Abschiebungen bedrohte Personen in Privatwohnungen unterbringen will, sagte, es gebe »genug Gründe durchzudrehen«. Dazu gehörten Bundesinnenminister Horst Seehofers (CSU) Freude über die Abschiebung von 69 Personen nach Afghanistan an dessen Geburtstag und deutsche Rüstungsexporte, die für weltweite Fluchtbewegungen mitverantwortlich seien.
Anschließend zog der Demons᠆trationszug mit lauten Sprechchören über Sonnenallee und Erkstraße zum Rathaus Neukölln. Und diesmal erschien die Demonstration tatsächlich wie ein Spiegelbild des häufig zitierten bunten Berlins, da nicht nur die üblichen Bewegungslinken auf der Straße waren.
René Arnsburg von der SAV, der die Demonstration mitorganisiert hatte, freute sich bei der Abschlusskundgebung über die große Resonanz. Angesichts der Tatsache, dass nur zwei Tage vor allem über soziale Medien mobilisiert wurde, sei das ein »super Erfolg«. Die Motivation, eine Aktion zu organisieren, sei die große Wut gewesen, die viele Leute nach den Ereignissen von Chemnitz in sich trugen. »Wir wollten ein politisches Ventil bieten, damit man nicht alleine zu Hause sitzt«, sagte Arnsburg.
Ein Grund dafür, warum die Zug durch Neukölln lief, waren auch die wiederholten Nazi-Angriffe gegen linke Strukturen und Privatpersonen im Bezirk. Ferat Kocak (HDP Berlin, LINKE Neukölln) ist einer der Betroffenen - im Februar wurde sein Auto angezündet. In seiner Ansprache kritisierte er das einseitige Engagement der Polizei gegen linke Proteste und bezeichnet die AfD als »Teil der nationalistischen, faschistischen Bewegung«. »Wir sind viele, und wir brauchen keine Nationen und keine Grenzen«, sagte Kocak am Ende der Demonstration. Danach tanzten junge Punks zu Hip Hop, und die Abschlusskundgebung näherte sich gegen 21 Uhr ihrem Ende.
Die Ereignisse in Sachsen haben auch in der Hauptstadt Berlin einiges losgetreten. Am Freitagnachmittag fanden sich erneut Hunderte vor der Sächsischen Landesvertretung in Mitte ein, um die Regierung des Freistaates an ihre Verantwortung zu erinnern, denn »die sächsische Landesregierung versagt seit Jahren im Kampf gegen Rechts«, so der Aufruf zu der Kundgebung.
Dazu aufgerufen hatte der Journalist Dirk Ludigs, der parallel dazu auch eine Petition initiierte. Das Motto lautet jeweils: »Sachsen! Stopp den Mob!« Die ersten 30 000 Unterschriften wurden am Freitag einem Mitarbeiter in der Landesvertretung übergeben. »Das, was in Chemnitz passiert ist, war ein Pogrom«, sagt Ludigs. Ihm sei wichtig, dass es hier um demokratische Standards gehe. »Es geht nicht um Rechte gegen Linke, sondern um Demokraten gegen Faschisten«, so Ludigs.
Für diesen Samstag haben verschiedene antifaschistische Gruppen aus Berlin dazu aufgerufen, nach Chemnitz zu fahren und sich dort einer weiteren Demonstration von AfD und Pegida in den Weg zu stellen.
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