Tourismus allein reicht nicht aus

Wo Kohle gefördert wurde, schwimmen Häuser - die Lausitz braucht aber einen festen Stand

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Früher führte das als Seebrücke recycelte Teil einer Förderbrücke aus dem Braunkohletagebau ins Nirgendwo. Das Seehotel wurde auch schon gebaut, als es weit und breit noch kein Wasser gab. Neben dem Hotel entstand die Hafensiedlung mit 32 Eigentumswohnungen. Als entschieden wurde, in diese Projekte zu investieren, lag der Hafen am Tagebaurestloch von Großräschen noch auf dem Trockenen. Die Sparkasse war skeptisch wegen der Finanzierung, erinnert sich Bürgermeister Thomas Zenker (SPD). Solche Eigentumswohnungen in einer Kleinstadt, das könne nicht funktionieren, sei die Ansicht der Kreditexperten gewesen.

Doch inzwischen ist das Restloch vollständig geflutet. Nur wegen der Hitzewelle liegt der Wasserspiegel ein paar Zentimeter unter dem gewünschten Normalzustand. Das Seehotel ist zu 80 Prozent ausgelastet, die Eigentumswohnungen sind belegt, nebenan entstehen Villen. Im Hafen liegt ein kleines Fahrgastschiff bereit. Es darf zwar noch nicht auslaufen, weil die Genehmigung noch nicht vorliegt, aber die Kreisverwaltung Oberspreewald-Lausitz arbeitet daran. Für die 120 Bootsliegeplätze im Hafen gibt es 250 Bewerbungen. »Die Nachfrage ist riesengroß«, sagt Zenker. Was am Großräschener See noch fehlt, ist ein Sandstrand. Aber auch der wird kommen, verspricht der Bürgermeister. 800 Meter lang und 40 Meter breit soll er werden.

Fakten

Für die Sanierung alter Braunkohletagebaue in Ostdeutschland wurden zwischen 1991 und 2017 rund 10,6 Milliarden Euro aufgewendet, wobei 4,5 Milliarden Euro in der Lausitz eingesetzt worden sind. Das Land Brandenburg hat von dieser Summe 1,3 Milliarden Euro übernommen.

Von 1984 bis 1992 wurden im Tagebau Gräbendorf 36,4 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert. In den Jahren 1996 bis 2007 wurde das Restloch mit 92 Millionen Kubikmetern Wasser geflutet.

Bei der Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbauverwaltungsgesellschaft (LMBV) sind 664 Mitarbeiter und 25 Auszubildende beschäftigt. 80 Prozent der Belegschaft verfügen über einen Hochschulabschluss.

Die LMBV übernahm nach der Wende 200 Tagebaue und 40 Kraftwerke. 1990 hatten 130 000 Beschäftigte in Tagebauen und Kohlekraftwerken gearbeitet, 1993 waren es weniger als 30 000. Heute sind in dieser Branche in der Lausitz noch 8000 Jobs übrig. af

Bislang sieht es am Ufer ziemlich kahl aus. So richtig grünt lediglich ein halber Hektar Steilhang. Der ist mit 5000 Weinreben bepflanzt. Winzer Andreas Wobar und seine Frau Cornelia kümmern sich im Nebenerwerb darum. Im Hauptberuf ist Andreas Wobar Landwirt. Mais, Raps und Weizen wächst auf seinen Feldern. Der wenig fruchtbare Boden in der Lausitz erlaubt kaum etwas anderes. Dann kam dieses Jahr noch die Trockenheit. Beim Getreide habe er 50 Prozent verloren und beim Mais eine Missernte erlebt, erzählt Andreas Wobar. Aber es sei ein gutes Weinjahr. Wobar hätte nie gedacht, dass er mit dem Wein mal ein schlechtes Betriebsergebnis beim Ackerbau würde verbessern können. Mit den Touristen, die zur Weinprobe kommen, geht das nun.

Trotzdem sagt Bürgermeister Zenker: »Das wir von Tourismus allein nicht leben können, das ist allen klar.« Großräschen war im Gegensatz zu etlichen anderen Kommunen in der Lausitz schon in der DDR nicht allein von der Braunkohle abhängig. Es gab Industriebetriebe, von denen einige allerdings mitsamt dem 4000 Einwohner zählenden Stadtteil Großräschen-Süd abgebaggert worden sind. Es war die größte Ortschaft, die jemals unter die Kohlebagger geriet, berichtet Zenker. Und dann noch der Geburtenknick und der Wegzug nach der Wende. 13 500 Einwohnern lebten 1990 im Stadtgebiet. Jetzt sind es nur noch 9000. Aber seit drei Jahren ist die Bevölkerungszahl stabil und es ziehen sogar mehr Menschen her als weg. Der Bürgermeister strahlt.

Eine positive Entwicklung an einem ebenfalls gefluteten Tagebaurestloch, dem Gräbendorfer See, erhofft sich Vetschaus Bürgermeister Bengt Kanzler (parteilos). Sein Optimismus ist berechtigt, denn er hat Investoren für ein Familienresort »Möweninsel Spreewald« an der Hand. 16 schwimmenden Häuser und dazu weitere Ferienhäuser an Land sollen errichtet werden. Auf dem Gräbendorfer See ist das einstmals erste schwimmende Haus der Lausitz zu finden. Am selben Steg sind mittlerweile zwei weitere schwimmende Häuser festgemacht. Eins wird vermietet, das andere dient als Muster für Besichtigungen. Mit zwei Schlafzimmern und einer Couch in der Wohnküche kann dieses Modell mit Dachterrasse von bis zu sechs Feriengästen genutzt werden. 374 000 Euro kostet so ein Haus beziehungsweise saisonabhängig 140 bis 180 Euro pro Nacht. Zur Ausstattung gehört eine Badeleiter. Das Wasser ist klar. Hechte und Barsche schwimmen darin. Der ph-Wert liege ziemlich konstant bei 7, das bei Restlöchern übliche Problem der Versauerung gebe es hier nicht, sagt Bürgermeister Kanzler. Er schwärmt: »Wassertechnisch ist der See eine Perle.«

Auch Dieter Hütte schwärmt. Der Chef der Tourismus Marketing Brandenburg GmbH gehörte - wie er selbst sagt - einst zu den »Spinnern«, die davon träumten, einen alten Tagebau für Besichtigungen offen zu halten. Die »Vernünftigen«, denen stattdessen eine Seenlandschaft vorschwebte, haben sich durchgesetzt. Nun also schwimmende Häuser, für die extra technische Lösungen entwickelt wurden, und die vielleicht irgendwann ein »Exportschlager made in Brandenburg« sein werden, wie Hütte glaubt. Der Tourismus stehe natürlich nicht für die gesamte Wirtschaft, er sei aber ein »weicher Standortfaktor«, wobei Hütte diesen Begriff verniedlichend findet. Die bundeseigene Lausitzer- und Mitteldeutsche Bergbauverwaltungsgesellschaft (LMBV), die sich um die Sanierung der Braunkohletagebaue und des Kalibergbaus aus DDR-Tagen kümmert, entließ den Gräbendorfer See am Mittwoch aus der Bergaufsicht. Es ist seit 1991 der erste Tagebausee in der Lausitz, mit dem das geschehen konnte.

So weit ist die LMBV am Altdöberner See noch lange nicht. Hier müssen die teils steilen Böschungen gegen Rutschungen gesichert werden. Dies geschah in einer ersten Phase durch Zünden von Sprengladungen im Untergrund und erfolgt nun in der zweiten Phase durch Rütteldruckverdichtung. Dabei wird an einem Kran eine vibrierende Lanze, aus der seitlich Wasser austritt, 40 bis 45 Meter tief in den Boden versenkt. So wird innerhalb einer Stunde eine Fläche von je neun Quadratmetern verdichtet. Vier Besatzungen arbeiten rund um die Uhr und sind innerhalb von fünf Jahren einmal rund um den See vorgerückt, also jetzt fast fertig damit, sagt Axel Bretfeld, Geschäftsführer der Ecosoil Ost GmbH, die diesen Auftrag der LMBV erledigt.

Währenddessen steht Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), der sich das vor Ort angeschaut hat, vor einer Fernsehkamera. Jeder Euro für die Tagebausanierung sei gut angelegt, weil dies Zukunftsperspektiven eröffne, erklärt Woidke. Aber: »Tourismus wird niemals die Wirtschaft in Gänze ersetzen.« Der Ausstieg aus der Braunkohle laufe, solle aber bloß nicht überstürzt werden. Denn wenn die Laufzeiten der heutigen Tagebaue künstlich verkürzt werden, könne mit der Braunkohle nicht das Geld für die Sanierung erwirtschaftet werden. Dann müsste wieder der Steuerzahler dafür aufkommen, so wie nach dem Ende der DDR. Woidke sagt: »Ich bin fest überzeugt, dass die Braunkohle hier in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch eine wichtige Rolle spielen wird.«

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