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Maaßen zweifelt an Chemnitzer-Hetzjagden
LINKEN-Vorsitzende Kipping fordert Rücktritt des Präsidentes des Bundesamts für Verfassungsschutz
Berlin. Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, hat Zweifel, dass es während der rechten Aufmärsche in Chemnitz zu regelrechten Hetzjagden auf Migranten gekommen ist. Dem Verfassungsschutz lägen »keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben«, sagte Maaßen der »Bild« am Freitag.
Nach der tödlichen Messerattacke auf einen 35-jährigen Chemnitzer vor gut zwei Wochen hatte es in der sächsischen Stadt Aufmärsche von Neonazis, Hooligans und anderen rechten Gruppen gegeben, dabei kam es zu Übergriffen auf Polizisten, Journalisten und Menschen mit vermeintlich anderer Herkunft.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Regierungssprecher Steffen Seibert hatten von »Hetzjagden« gesprochen. Dem widersprach am Mittwoch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und erntete dafür scharfe Kritik. Merkel entgegnete ihrem Parteifreund Kretschmer, es habe Bilder gegeben, die »sehr klar Hass und damit auch die Verfolgung unschuldiger Menschen« gezeigt hätten. Davon müsse man sich distanzieren. »Damit ist alles gesagt.«
Bundesinnenminister Horst Seehofer hatte Mittwoch voreilige Äußerungen nach den Vorfällen in Chemnitz kritisiert. Der CSU-Vorsitzende sagte, er sei »immer dafür, dass man sich als Politiker zu solchen Dingen erst einlässt, wenn man authentische Informationen hat«. Deshalb habe er sich nach dem Tötungsdelikt und den anschließenden Protesten erst einmal bei der Landesregierung und der Polizei nach den Einzelheiten erkundigt. Seehofer war für sein langes Schweigen zu den Vorfällen in Chemnitz kritisiert worden.
Maaßen behauptete in »Bild« zu einem Video, das Jagdszenen auf Migranten nahe des Johannisplatzes in Chemnitz zeigen soll: »Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist.« Nach seiner vorsichtigen Bewertung »sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken«.
Katja Kipping, Vorsitzende der Partei DIE LINKE, sagt in einer Presseerklärung: »Maaßen ist nicht mehr haltbar.« Sie fordert von der SPD als Regierungspartei dafür zu sorgen, dass Maaßen geht. »Das Versagen und die Ignoranz der politisch Verantwortlichen und der zuständigen Behörden bezüglich der rechten Ausschreitungen in Chemnitz gehe weit über Sachsen hinaus.«
Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) sagte dem Deutschlandfunk, er habe kein Verständnis für diese Äußerungen. »Wir haben Bilder gesehen, wir haben Zeugen gehört. Wir haben gesehen, wie Menschen da den Hitlergruß offen auf der Straße gezeigt haben«. Auch eine Gruppe von Sozialdemokraten sei auf dem Weg zum Bus von rechten Hooligans angegriffen worden.
Oppermann übte auch scharfe Kritik an Seehofers Äußerung, die Migration sei die »Mutter aller Probleme«. Mit dieser Aussage zeige der CSU-Chef, »dass er den Anforderungen für das Amt des Innenministers nicht genügt«. »Er ist der falsche Mann in diesem Amt - er ist als Innenminister eine Fehlbesetzung und als Verfassungsminister ist er eine Zumutung, denn er redet erneut wie ein AfD-Politiker«, sagte Oppermann. Auch Maaßens Äußerungen erinnerten an AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland, fügte der SPD-Politiker hinzu.
Der SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka sagte dem »Handelsblatt«, er halte Maaßens Äußerungen angesichts der zahlreichen Medien- und Augenzeugenberichte sowie 120 Ermittlungsverfahren für eine »ziemlich steile These«. »Als Präsident des Bundesverfassungsschutzes sollte sich Herr Maaßen nicht an wilden Spekulationen beteiligen, sondern schnellstens Fakten auf den Tisch legen.«
Matthias Höhn, Bundestagsabgeordneter von Die LINKE, twitterte ironisch zu Maaßens Äußerungen: »Mir liegen «keine belastbaren Informationen darüber vor», dass das Bundesamt für Verfassungsschutz einen nützlichen Beitrag für unsere Demokratie leisten kann.«
Am Freitag (18.30 Uhr) will die rechtspopulistische Bewegung Pro Chemnitz wieder am Karl-Marx-Monument in der Stadt demonstrieren. Dazu habe der Veranstalter rund 1.000 Teilnehmer angemeldet, teilte die Stadtverwaltung mit. Eine Gegenkundgebung sei noch nicht angemeldet worden.
Allerdings laden die Chemnitzer Theater zur gleichen Zeit und nur wenige hundert Meter von der Demonstration entfernt zu einem Gratiskonzert mit klassischer Musik gegen Fremdenfeindlichkeit ein. dpa/nd
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