Kampf gegen Tabu und Kriminalisierung

Beim Thema Schwangerschaftsabbruch wird das Selbstbestimmungsrecht von Frauen so scharf wie kaum sonst angegriffen

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Debatte um den Abtreibungsparagrafen 218 schien in Deutschland langsam zu verebben. Frauen trösteten sich nach der verpassten Übernahme der DDR-Fristenlösung in bundesdeutsches Recht mit der Idee, dass ein Schwangerschaftsabbruch »eigentlich irgendwie« möglich sei. Sicher, nur nach verpflichtender Beratung. Ein Kompromiss schien gefunden, wenn auch ein schlechter.

Dann wurde jedoch Ende 2017 die Gießener Gynäkologin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe nach Paragraf 219a verurteilt. Seitdem stieg das öffentliche Interesse an den Rahmenbedingungen für Schwangerschaftsabbrüche rapide an. Plötzlich wurde deutlich, dass sich die Möglichkeiten für Frauen, eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden, in den letzten Jahren verschlechtert haben. Die Einschüchterung der Ärztinnen und Ärzte, die diesen medizinischen Eingriff anbieten, war offenbar erfolgreich. Als Instrument dafür erwies sich eben der Paragraf 219a als bestens geeignet. Selbsternannte radikale »Lebensschützer« setzten ihre Auffassung als Maßstab, dass »Werbung« für den Abbruch einer Schwangerschaft nicht gemacht werden dürfe. Rechtssprechung und Politik vermieden es, Werbung und Information über den Eingriff voneinander zu trennen. Jedoch gibt es mittlerweile weitere Ärztinnen, die sich gegen die bestehende Regelung wehren. Zwei Kasseler Frauenärztinnen, deren Verfahren in der letzten Woche begann, wollen bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um Rechtssicherheit nicht nur für informierende Mediziner, sondern auch für Frauen in Not zu erreichen.

Die Debatte um einen freien Zugang zum Schwangerschaftsabbruch entzündete sich also in den letzten Monaten erneut. Das war Anlass für die Heinrich-Böll-Stiftung, über das Thema einmal grundsätzlich zu reden. Als eine feministische Aufgabe steht im Raum, Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren und das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung zu stärken. Die Bedingungen dafür sind nicht einfacher geworden. Einerseits wurden die realen Möglichkeiten für einen Abbruch in den letzten Jahren ausgedünnt. Das bedeutet längere Wege und Unsicherheit für Frauen. Andererseits veränderte sich auch der Umgang der Betroffenen mit diesem Ereignis in ihrem Leben. Schweigen, Schuldbewusstsein, Zweifel, Depression - so sehen Verhaltensmuster aus, die aus konservativer Sicht mit einer Abtreibung assoziiert werden sollen. Die Tabuisierung einer solchen Entscheidung führt bis dahin, dass Frauen nur noch mit der besten Freundin, wenn überhaupt, darüber reden wollen.

Auf den historischen Hintergrund wies die Berliner Soziologin Daphne Hahn hin: »Immer wenn Staaten ihre Bevölkerung quantitativ oder qualitativ beeinflussen wollten, musste den Frauen die Macht über Zeugung und ihre Praktiken entzogen werden.« Das weist darauf hin, warum Abtreibung im Strafrecht verankert ist und warum es gerade jetzt ein großes, konservatives Interesse daran gibt, diesen Zustand nicht nur zu erhalten, sondern im Falle des Paragrafen 219a diesen auch maximal in Anspruch zu nehmen.

In der Diskussion in der Böll-Stiftung herrschte Einigkeit darüber, dass das Thema Schwangerschaftsabbruch mittlerweile nahezu symbolischen Charakter hat. Hinter den Attacken auf Ärztinnen und Abtreibungsbefürworter stehe eine starke Feindseligkeit gegen Verhütung allgemein, aber auch gegen die Selbstbestimmung der Frauen. Nicht um »Schutz des Lebens« geht es, sondern um die Aufwertung und Durchsetzung konservativer Lebensmodelle und einer rückwärtsgewandten Geschlechterordnung.

Der Kampf dagegen sollte nicht auf juristische Fragen reduziert werden. Angeregt wurde, betroffene Frauen mit ihren Erfahrungen selbst zu Wort kommen zu lassen, etwa mit der Tatsache, dass ohne medizinischen Grund für eine Abtreibung diese selbst zu bezahlen sei. Internationale Erfahrungen zeigten, dass ohne explizite Abtreibungsverbote »nicht alles aus dem Ruder laufen würde«. In Kanada gebe es gar keine gesetzliche Regelung zu dem Thema, es unterliege allein dem ärztlichen Standesrecht. Das genüge völlig. Für hiesige Verhältnisse, gab jedoch eine Medizinstudentin zu bedenken, habe konservativer Einfluss gereicht, um praktische medizinische Fragen völlig aus der regulären ärztlichen Ausbildung und von der Agenda der Fachgesellschaften zu verdrängen. Die Aufregung um selbst organisierte Fortbildungen in Berliner Universitätsräumen habe immerhin dafür gesorgt, dass dort jetzt ab 2019 rechtliche Fragen zum Thema in das medizinische Curriculum aufgenommen werden.

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