Irak-Engagement zwischen Pest und Cholera
Trotz verheerender Menschenrechtssituation will die Bundesregierung an militärischer Unterstützung festhalten
Im Zentrum der irakischen Hauptstadt Bagdad sind Ende vergangener Woche wieder Granaten explodiert. Wer die Raketen abfeuerte, ist unklar. Dieser und viele weitere Angriffe zeigen: Das Ende der territorialen Kontrolle bedeute nicht das Ende der Bedrohung durch den Islamischen Staat (IS). Die Terrororganisation existiert weiterhin im Untergrund. Ihre Propagandamaschinerie läuft weiter. Also, so heißt es im dieser Tage vorgelegten »Bericht der Bundesregierung zur Lage in Irak und zum deutschen Irak-Engagement«: »Die militärischen Erfolge im Kampf gegen IS müssen gesichert und ein Wiedererstarken der Terrororganisation dauerhaft verhindert werden.« Der Bericht macht deutlich, dass sich die schwarz-rote Koalitionsregierung in Sachen Irak-Hilfe zwischen Pest und Cholera befindet. Zunächst lobt sich die Regierung dafür, dass Deutschlands militärisches Engagement eine wichtige Voraussetzung war, um den IS zurückzudrängen. Das schließt Ausbildung sowie Bewaffnung kurdischer Sicherheitskräfte ein, darüber hinaus Aufklärung und Luftbetankung sowie die Abordnung von Stabspersonal im Rahmen der Operation »Inherent Resolve« sowie an Bord von AWACS-Flugzeugen.
Das 18-seitige Dokument bemüht sich um Optimismus. Irak stehe am Beginn einer neuen Etappe. Voraussetzungen »für einen positiven Trend« seien gegeben und die Lage »so stabil wie seit 2003 nicht mehr«. Doch auch wenn die Parlamentswahlen im Mai 2018 (mit einer Beteiligung von 44,5 Prozent und Vorwürfen der Manipulation) überwiegend friedlich verlaufen sind - die Regierungsbildung steht weiter aus. »Fragile Kontexte und komplexe Konflikte verlangen einen umfassenden Politikansatz«, die Bevölkerung erwarte »dringend die rasche Verbesserung ihrer Lebensbedingungen«. Es gehe um Sicherheit, Stabilität, wirtschaftliche Entwicklung, Arbeitsmöglichkeiten, Korruptionsbekämpfung und den Wiederaufbau des Landes. Tiefgreifende strukturelle Probleme Iraks und interne Konfliktlinien, die vom Kampf gege den IS in den letzten Jahren überlagert waren, rückten nun wieder verstärkt in den Vordergrund.
Dabei ist Irak ein reiches Land. Es besitzt mit rund 149 Milliarden Barrel die fünftgrößten gesicherten Ölreserven der Welt. Doch, so schätzt die Bundesregierung ein, sind »Korruption, ineffiziente Verwaltungsabläufe und ein aufgeblähter Staatssektor Ursachen für eine anhaltende tiefe Wirtschafts- und Finanzkrise«.
Von besonderer Bedeutung ist weiter der Konflikt zwischen der Zentralregierung in Bagdad und den Kurden im Norden des Landes. Positiv vermerkt die Bundesregierung, die die umfangreiche militärische Unterstützung der kurdischen Peschmerga zugunsten der Zentralregierung zurückgefahren hat, dass die Regenten in Bagdad und Erbil seit Januar »in einem direkten Dialog zu strittigen Fragen stehen«.
Eine Kernursache der Konflikte in Irak sei das Fehlen eines Staats- und Gesellschaftsmodells, das allen Bevölkerungsteile, unabhängig von Religion oder ethnischer Zugehörigkeit eine Perspektive bietet. Hinzu kommt die Benachteiligung von Provinzen und Regionen. Dorthin fließen selbst regulär im Haushalt vorgesehene Mittel nur unzureichend.
Wie fragil die Situation ist, zeigen Berichte aus der erdölreichen Region um Basra im Süden des Landes und in Nadschaf. Bereits seit Juli dauern dort die Proteste an. Immer wieder sind Tote sind zu beklagen, aus dem örtlichen Regierungssitz schlugen Flammen. Die Behörden reagieren mit Härte und Ausgangssperren. Generell kommt die deutsche Regierung zu der Einschätzung, dass die Menschenrechtslage in Irak ist »besorgniserregend« ist.
Besonders prekär ist die Situation von nach wie vor für über zwei Millionen Binnenvertriebene. Sie sind nicht in ihre Heimatorte zurückgekehrt, weil die Sicherheitslage, das Ausmaß der Zerstörung sowie gesellschaftliche Spannungen eine Rückkehr zu risikoreich erscheinen lassen. Meldungen bestätigen, dass es in den Flüchtlingslagern an Nahrungsmitteln, Wasser und Medikamenten mangle. Auch in Berlin weiß man, dass Gewalt durch paramilitärische Milizen ausgeübt wird, dass es Verschleppungen und sexuelle Übergriffe gibt. Besonders betroffen sind Familienverbände, denen unterstellte wird, dass einzelne ihrer Mitglieder IS-nah seien. Menschenrechtsverletzungen betreffen Frauen und Mädchen in besonderem Maße. Sie sind im Alltag Diskriminierung ausgesetzt, die ihre gleichberechtigte Teilnahme am politischen, sozialen und wirtschaftlichen Leben verhindert. Viele Irakerinnen und Iraker sind in ihren wirtschaftlichen und sozialen Rechten beschnitten, da sie keinen Zugang etwa zu adäquater Bildung, Gesundheitsversorgung oder sauberem Wasser haben.
Trotz all dieser Erkenntnisse leistet Deutschland im Rahmen einer sogenannten Ertüchtigungsinitiative sowie im Verbund der NATO weiter militärische Ausrüstungs- und Ausbildungshilfe. Insgesamt wurde in diesem Rahmen bis 2017 Unterstützung in Höhe von rund 41 Millionen Euro geleistet. Zugleich betont die Bundesregierung, man verfolge - so wie dies im Koalitionsvertrag festgeschrieben ist - eine »restriktive Rüstungsexportpolitik«.
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