Kein Weg aus dem Schatten
Die Vuelta wird wohl auch in Zukunft neidisch auf Tour de France und Giro d’Italia schauen
Die Spanienrundfahrt bietet auch in diesem Jahr besten Radsport. Die Protagonisten, allen voran der Brite Simon Yates und die Kolumbianer Nairo Quintana und Miguel Angel Lopez bieten sich einen spannenden Dreikampf in den Bergen. Nur die besonders spektakuläre Attacke fehlt noch, eine in den Dimensionen von Alberto Contador im Jahr 2012 etwa oder jenem legendären Tag der Vuelta 2016, als alle Helfer von Chris Froome das Zeitlimit verpassten. Doch auch ohne die ganz großen Ereignisse liefert die Rundfahrt ein Angriffspektakel, wie man es von der Tour de France kaum kennt.
Trotz aller sportlichen Attraktivität bleibt die Vuelta aber weiter der arme Cousin unter den großen dreiwöchigen Rundfahrten. Die Ursachen sind vielfältig. Anders als Tour und Giro d’Italia, die 1903 und 1909 gegründet wurden und viel Zeit hatten, Mythen zu entwickeln, wurde die Vuelta erst 1935 geboren. Nach der zweiten Ausgabe war wegen des Bürgerkriegs gleich wieder für Jahre Schluss mit dem Wettkampfsport. Die politische Isolation während der Franco-Diktatur ließ die Vuelta international auch danach nicht interessant erscheinen, selbst wenn ab den 1960er Jahren ausländische Stars wie Jacques Anquetil und Felice Gimondi in Spanien an den Start rollten.
In die Siegerlisten trugen sich zwar auch die Deutschen Rudi Altig und Rolf Wolfshohl ein. Anders als die Tour verpasste es die Vuelta jedoch, sich zum TV-Event zu entwickeln. Ab den 70er Jahren war dies der Wachstumsfaktor der Tour schlechthin. Die geografische Lage Spaniens - Landgrenzen gibt es nur zu Portugal und Frankreich - schränkte zudem die Möglichkeit für Auslandsstarts ein. Mit diesen hatte der Giro seine Renaissance eingeleitet.
Der Weltverband tat sein Übriges, in dem die UCI die Vuelta im Rennkalender mehrfach herumschob: vom April in den 30er Jahren in den Juni in den 40ern, dann zurück in den April und ab 1995 in den September. Vom Warmfahrrennen für den Giro transformierte sie zum Tour-Aufgelopp und ist jetzt Wiedergutmachungsrennen all derer, die in der Saison noch nicht zum Zuge kamen.
Der Zeitpunkt kurz vor der WM sorgt zwar für Prominenz in den Starterlisten. Wer Weltmeister werden will, hält seine Form gern in der Hitze Spaniens hoch. Er bricht die Vuelta aber auch gern mittendrin ab, um in optimaler Verfassung zur WM zu fahren. Dieses Jahr sind der Italiener Vincenzo Nibali und der Australier Richie Porte Aussteigekandidaten.
Dass 2018 überlappend zum Vuelta-Start auch noch die neue Deutschland Tour veranstaltet wurde, muss die Organisatoren allerdings nicht sorgen. Tour-Organisator ASO hat bei beiden Rennen den Hut auf - und eigentlich kein Interesse an Konkurrenzgebaren. Die deutschen Ambitionen wirken ohnehin gebremst. »2019 planen wir erneut mit vier Tagen. Der genaue Termin wird noch bekanntgegeben, aber im gleichen Zeitraum sein«, sagte Deutschland-Tour-Sprecherin Sandra Schmitz.
Viel Platz für eine Ausdehnung hält der UCI-Rennkalender nicht bereit. »Das Maximum ist die Größe der Tour de Suisse«, meint Giuseppe Lombardi, Agent von Weltmeister Peter Sagan. Eine Bedrohung für die Vuelta wäre die Deutschland-Tour auch mit einer Länge von neun Tagen nicht. Nur die Zuschauerbeteiligung an der Rennstrecke könnte die Verhältnisse ändern. Die ist in Deutschland, aber auch bei der gerade zu Ende gegangenen Tour of Britain (acht Etappen) größer und vor allem sichtbarer als in Spanien. Das Land in Europas Süden ist über weite Flächen viel dünner besiedelt als Deutschland oder Großbritannien - ein struktureller Nachteil im Kampf um das Gold der Gegenwart: die Aufmerksamkeit.
Die Deutschland Tour als vierte Grand Tour kann sich hierbei der Vuelta aber niemand vorstellen. »Realistisch ist ein Parallel-Szenario: Die Kletterer kommen im Spätsommer zur Vuelta, Sprinter und Etappenjäger kombinieren Deutschland Tour und Tour of Britain«, meint Philippe Maertens, Sprecher des deutschen Rennstalls Katusha Alpecin. Bedeutender wird die Vuelta dadurch sicher nicht.
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