- Klima und Wandel
- Hambacher Forst
Hört ihr die Kettensägen? Sie legen die Axt an unser Klima
Während ein Großteil der Bevölkerung weiß, dass der Kohleausstieg unausweichlich ist, hat im Hambacher Forst die Räumung begonnen.
Das Geräusch von Kettensägen tönt durch den Wald, als ich am Morgen den Hambacher Forst betrete. Die Wege zu den Baumhäusern werden freigesägt. Eine skurrile Szenerie: Die übergroße Mehrheit der Bevölkerung weiß, dass der Kohleausstieg für das Erreichen der Klimaschutzziele unausweichlich ist. Und hier setzt RWE, der Dinosaurier des Kohle-Zeitalter, mit aller Gewalt seine Interessen durch. Ja, 2016 haben SPD und Grüne den Weg für die Rodung des verbliebenen Waldes in Nordrhein-Westfalen freigemacht. Doch aktuell tagt die sogenannte Kohlekommission. Sie soll eigentlich einen Weg finden, den Kohleausstieg sozial- und umweltverträglich zu gestalten. Doch die Räumung, der erste Schritt zur Rodung des Hambacher Forsts, schafft hier Tatsachen. Der Rekordsommer hat noch einmal eindringlich vor Augen geführt, dass die Zeit zum Handeln langsam abläuft. Und hier fallen die Bäume, werden die Wege planiert, für die riesigen Kräne, mit denen die Klimaaktivist*innen aus den Bäumen geholt werden.
Am ersten Tag waren noch 3.500 Polizist*innen im Hambi, am Freitag sind es nach Angaben des Pressesprechers der Polizei noch 1.500, darunter Kletter-Einheiten, die aus dem ganzen Bundesgebiet zusammengezogen worden sind. Daneben Personal von RWE, Feuerwehren aus Kerpen, Werkschutz von anderen Unternehmen. Die Begründung für die gigantische Aktion: Fehlender Brandschutz der Baumhäuser. Kurios, dass bei einer zurückliegenden Razzia gerade Feuerlöscher der Waldbewohner*innen konfisziert wurden. Eine faule Ausrede, um die Staatsmacht für dreckige Kohle und Konzernprofite in Stellung zu bringen. Nachdem das Treffen zwischen RWE und Umweltverbänden gescheitert ist, quasi eine staatliche Strafaktion gegen die resistenten Klimaschützer. Befragt, ob er sagen könne, auf wessen Kosten der Einsatz gehe, die Antwort des Pressesprechers von Team Blau: »Weiß ich nicht.« Da die Anweisung aus dem NRW-Heimatministerium kam, ist leicht zu erahnen, dass Steuergelder für diesen absurd gigantomanischen Einsatz draufgehen.
Als eine Aktivistin aus einem Baumhaus geholt und zu einem Gefangenentransporter am Grubenrand des Tagebaus gebracht wird – Vorwurf: Widerstand gegen die Staatsgewalt – habe ich die Gelegenheit, mit einem Arbeiter von RWE zu reden. Nein, er sehe schon, dass das ein Problem sei, der Kohleausstieg werde kommen und gegen den Klimawandel müsse man was tun. Aber jemand habe doch mal die Tagebaue eingerichtet, und es gebe eine lange Tradition. Außerdem wolle er seine Arbeit behalten. Andere lassen sich nicht auf ein Gespräch ein, teils mit Verweis auf Angst um Job und Familie. Klar ist, hier liegt etwas im Argen. Wo man früher von verallgemeinerbaren Interessen gesprochen hätte, muss überhaupt wieder eine Gesprächsebene hergestellt werden. Dass sich Beschäftigte und Gewerkschaften wie die IG BCE auf die Seite der Kohle-Konzerne stellen, ist nachvollziehbar, wenn es um relativ gut bezahlte Jobs angesichts zunehmender Prekarisierung der Arbeitswelt geht. Eine linke Kommunikation müsste an diesem vermeintlichen Widerspruch ansetzen: Nein, es führt kein Weg am Kampf gegen den Klimawandel vorbei. Das ist eine Menschheitsfrage, nicht allein für die Menschen im globalen Süden. Aber dennoch braucht es Strategien für einen sozialen Ausgleich in den betroffenen Regionen, die Menschen müssen aufgegangen werden. Das Geld wäre da für einen sozial-ökologischen Strukturwandel, allein durch Einsparungen von Umweltkosten, Kohlesubventionen und geringerer Belastung des Gesundheitswesens. Was fehlt, ist der politische Wille, der Mut, den Interessen der Kohlelobby entgegenzutreten.
Spannend ist, dass auch die anwesenden Pressevertreter*innen wenig Verständnis für die teilweise Rodung und Räumung aufbringen. Das spiegelt sich auch in der Berichterstattung wider, die letztlich ein riesiges PR-Desaster für RWE und die NRW-Landesregierung ist. Warum gerade jetzt, wo doch die »Kohlekommission« tagt? Um diese zu boykottieren, zum Scheitern zu bringen? Als bloße Machtdemonstration? Die Gründe scheinen wenig einsichtig. An mangelnden Brandschutz als Auslöser glaubt niemand der anwesenden Journalist*innen. Empörung auch auf der Demo am Donnerstagabend. 1.000 Menschen, die bunt und friedlich für das Ende der Kohle, für den Erhalt des Waldes demonstrieren. Die ganze Absurdität der aktuellen Situation kommt in dem Slogan zum Ausdruck, der immer wieder gerufen wird: »Wo wart ihr in Chemnitz?«
Die, die den aktuellen Kampf um den Wald und für Klimagerechtigkeit ausfechten, indem sie sich mit ihrem Mut und ihren Körpern der Staatsmacht und RWE entgegenstellen, habe ich auch getroffen, mit einigen reden können: Auf die Räumung und Rodung haben sie sich schon lange vorbereitet, sie immer wieder erwartet, nicht zuletzt im letzten Herbst, als erst eine Gerichtsentscheidung die bereits seit einem Tag laufenden Rodungen stoppte. Und so hoffen sie nun, dass auch wieder einer der Anträge, beispielsweise vom BUND, Erfolg hat, die verbliebenen Baumhäuser gerettet werden können. Einige leben die ganze Zeit auf den Bäumen, andere kommen immer mal wieder vorbei, am Wochenende, in den Ferien, um ihre Solidarität zu zeigen. Bei denen, mit denen ich spreche, ist ein tiefes Bewusstsein des gesellschaftlichen Charakters der Auseinandersetzung vorhanden. Sie diskutieren über Rassismus, Feminismus, solidarische Lebensweisen. Und sie haben ein tiefes Gefühl der Solidarität als Teil der Klimabewegung. Dass Grüße zum Durchhalten aus Kolumbien gesandt werden, von Menschen, die dort gegen menschenunwürdige Förderbedingungen in der Kohle kämpfen, gehört ins Bild. Für uns als Linke, die in Bewegungen, Parteien, Organisationen aktiv sind, die gewohnt sind, gesellschaftliche Kämpfe miteinander zu verbinden, ist der Hambacher Forst gerade ein Kristallisationspunkt. Wer kann, sollte sich sputen und in den Hambi fahren, solange er noch da ist. Für eine solidarische Gesellschaft. Für den Kohleausstieg. Hambi bleibt.
Lorenz Gösta Beutin ist Sprecher für Energie und Klima der Linksfraktion im Bundestag.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.