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Schutz? Aber bitte kein sozialer
Österreich hat den EPSCO-Rat auf EU-Ebene abgesagt. Kritiker befürchten einen sozialpolitischen Stillstand
Bei der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft legt sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) höchstselbst ins Zeug. Zumindest wenn es um das Thema Abschottung geht. Erst am Sonntag traf sich Kurz mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), um sich zum Thema Grenzsicherung abzusprechen. Ein EU-Sondergipfel Ende dieser Woche ist auch eingeplant. Das Motto der Ratspräsidentschaft: »Ein Europa, das schützt«.
Schutz für Arbeitnehmer*innen steht jedoch nicht hoch im Kurs: Das von der rechtspopulistischen FPÖ geführte Sozialministerium unter Beate Hartinger-Klein hat einen der wichtigsten EU-Gipfel zum Thema Arbeit und Soziales klammheimlich abgesagt. Den EPSCO-Rat, der eigentlich am 11. Oktober tagen sollte. Das geht aus einem Schreiben hervor, das »neues deutschland« vorliegt. Auf dem EPSCO-Gipfel treffen sich alle Arbeits- und Sozialminister der EU um sich über gemeinsame Positionen abzustimmen. Ohne diese gemeinsame Position kann es keine Fortschritte geben, weil in der EU noch immer die Auffassungen nationalen Regierungen eine zentrale Rolle spielen.
Österreich hat derzeit die Ratspräsidentschaft in der EU inne. Damit gehen wichtige, koordinative Aufgaben als auch eine agendasetzende Funktion einher: So entscheidet der jeweilige Ratsvorsitz darüber, was in den sechs Monaten Amtszeit schwerpunktmäßig diskutiert sowie vorangetrieben werden soll und organisiert die Treffen der einzelnen Räte.
In dem Absageschreiben von Hartinger-Klein an die Sozialkommissarin Marianne Thyssen heißt es: Die Entwicklungen der spezifischen Vorgänge würden es nicht gewährleisten, dass das Treffen »vernünftigerweise« aufrechterhalten werden könne. Einige der Themen, beispielsweise zum »Aktionsprogramm zur Bekämpfung arbeitsbedingter Krebserkrankungen«, sollten durch andere, niedrigere EU-Gremien verhandelt werden. Diskussionen zu anderen Themen auf dem Feld zur sozialen Säule seien nicht auf einem Niveau angekommen, auf dem »Minister signifikanten Input haben oder Entscheidungen treffen könnten«. Statt dessen schlägt die Sozialministerin vor, dass in Trialogforen weiter gearbeitet werden solle.
Öffentlich mitgeteilt wurde die Absage nicht. Auf der Website des EPSCO-Rates steht das Treffen noch. Auch einzelne Beobachter auf dem Feld der EU-Sozialpolitik zeigten sich überrascht. Sie hätten davon noch gar nichts mitbekommen und seien sogar im Vorbereitungsprozess für das Treffen. Auf »nd«-Anfrage bestätigte die Sprecherin des EPSCO-Rats jedoch, dass der Termin für den 11. Oktober abgesagt wurde: »Es gab nicht genug Agendapunkte. Zudem wurde zu wenig Fortschritt auf den einzeln Feldern gemacht«, so die Sprecherin.
In der Tat ist die Agenda für den Tag nicht besonders lang. Aus Kreisen der EPSCO-Rats heißt es jedoch, dass ein vergleichbarer Vorgang, wie die jetzige Absage, aus der jüngeren Vergangenheit »nicht bekannt« sei. »Es wurden schon Treffen mit deutlich weniger auf der Agenda anberaumt.«
Pikant ist der Vorgang zudem, weil der EPSCO-Rat das zentrale Gremium ist, um Fortschritte in sozialpolitischer Hinsicht zu erzielen. Und derzeit steht einiges auf der Agenda. Selbst die Konservativen in der EU haben mittlerweile erkannt, dass es ein »mehr« an Sozialen braucht. Voller Pomp hatte die EU im vergangenem November auf einem eigenen Sozialgipfel der Regierungschefs eine vielbeachtete »Soziale Säule« eingeführt. War die EU seit ihrer Gründung vor allen von wirtschaftlichen Interessen getrieben, sollten nun mit der »Sozialen Säule« endlich auch verbindliche Sozialstandards eingeführt werden. »Es ist keine Poesie, sondern vielmehr ein Programm: zunächst ein Grundsatzprogramm, und dann ein Maßnahmenprogramm«, hatte Juncker bei seiner Rede zur Implementierung vollmundig gesagt. In der Direktive zu transparenten und vorhersehbaren Arbeitsbedingungen soll beispielsweise das Recht auf Fortbildung festgeschrieben werden oder das verbindliche Recht auf Vaterschaftsurlaub.
»Es ist dringend, nach der wirtschaftlichen Binnenfreiheit und Freizügigkeit auch die Arbeitnehmer*innenrechte zu stärken«, sagt Susanne Wixforth, beim DGB zuständig für europäische Sozialpolitik. Sie zeigt sich von der Absage des Treffens entsetzt: »Nur auf dem EPSCO-Treffen selbst können entscheidende Fortschritte gemacht werden. Die anderen Gremien, wie das Trialogforum, können nur vorankommen, wenn die EU-Minister sich zuvor abgestimmt haben.« Sie befürchtet nun einen »sozialpolitischen Stillstand. Ohne einen gemeinsamen Standpunkt im Rat kann es zu keinen Trialogverhandlungen mit dem Europäischen Parlament kommen«. Denn: Im nächsten Jahr steht die Europawahl an. »Wenn in dieser Ratspräsidentschaft nichts bis zur Beschlussreife kommt, wird das in absehbare Zeit erst einmal nicht passieren.« Die Erwartungen an die sozialpolitischen Impulse der österreichischen Ratspräsidentschaft seien schon niedrig gewesen. Aber mit der Absage gebe sich die österreichische Regierung nicht einmal mehr Mühe, zu kaschieren, dass das Thema keine Rolle spielte.
Auch von den Grünen und der LINKEN hagelt es Kritik an der Absage. Die Grüne-Sozialpolitikerin Terry Reintke warf der Ratspräsidentschaft vor, sozialpolitische Initiativen zu verschleppen: »Der Rat lässt seine Arbeit schleifen und vertrödelt damit wichtige Beschlüsse.« Dass es keine Fortschritte bei den wichtigsten sozialpolitischen Fragen gebe, sei »ein Armutszeugnis«. Man brauche endlich ein Vorankommen insbesondere bei den offenen Fragen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und der Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben.
Gabi Zimmer, Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion im Europaparlament, übt ebenfalls Kritik an der Entscheidung: »Am besseren Schutz der Bürgerinnen und Bürger, der Beschäftigten in der EU zeigt die Regierung von Kanzler Kurz kein Interesse.« Schon in ihrem Programm für die EU-Präsidentschaft käme Soziales nur am Rande vor. »Jetzt sagt die Alpenregierung auch noch den für Oktober geplanten EU-Gipfel für Beschäftigung und Soziales ab.« In den Verhandlungen zwischen Parlament und Rat zeige Österreich zudem keinen Ehrgeiz, um schneller zu verhandeln.
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