Von der Qual der richtigen Berufswahl

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Rund 2,1 Millionen aller 20- und 34-Jährigen in Deutschland, insgesamt 14,3 Prozent, haben keinen Berufsabschluss. In Ostdeutschland ist ihr Anteil noch höher. Das sagte der Hamburger Professor Gerhard Christe beim ersten Tag der Jugendberufsagenturen im Gebäude der Landesinvestitionsbank in Potsdam. »Im vergangenen Jahr hat sich der Anteil sogar vergrößert.« Und das, obwohl dieses Problem schon seit Jahrzehnten besteht und der Staat gemeinsam mit Handwerkskammern, IHK und Arbeitsagenturen mit aufwendigen Maßnahmen bemüht, ist, hier eine Verbesserung zu erzielen. Als »verrückt« und »paradox« wurde die Tatsache bezeichnet, dass Zehntausende Schulabgänger ohne Lehrstelle bleiben, obwohl Zehntausende von Lehrstellen umbesetzt sind.

Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) empfahl, das Thema aus den Blickwinkel der jungen Menschen und nicht der Arbeitsangetur zu betrachten. Es müsse etwas passieren, wenn sich »auch das dritte Bewerberstraining als nicht so richtig sinnvoll« herausgestellt habe. Sie zitierte eine Studie, der zufolge sich die weitaus meisten Jugendlichen in Brandenburg bei der Berufswahl durch die Schule unterstützt fühlen. Dennoch falle diese schwerer als früher. Es sei ja schön, dass heutzutage der Druck geringer sei, möglichst schnell mit Arbeit Geld zu verdienen, doch manch einer nehme »sich dafür zu viel Zeit«.

Detlef Scheele, Vorstandsvorsitzender der Bundesarbeitsagentur, wies auf die ungünstige demografische Entwicklung hin. Wenn nicht jährlich eine Zuwanderung von rund 200 000 Menschen aus dem Ausland erfolge, würden schon 2030 mehr als eine Million Arbeitsplätze in Deutschland unbesetzt sein. Doch schon aus Ost- und Südosteuropa sei infolge der leichten Belebung der Wirtschaft in Zukunft künftig mit weniger Arbeitskräften zu rechnen. Auch bei der Frauenbeschäftigung sei in vielen Regionen kaum mehr Zuwachs erwarten. Längst müsse um den Verbleib der 60 bis 65-jährigen im Arbeitsleben gerungen werden. Aber vor allem gehe es darum, Jugendliche einen »zweiten Start« zu erleichtern, wenn die Eltern nicht helfen könnten oder wollten. Berufswerbung müsse schon in Klasse 8 beginnen.

In Ostdeutschland sei inzwischen ein Drittel der Ausbildungsplätze unbesetzt und die Zahl der Abbrecher in Lehre oder Studium enorm, warnte Scheele. Er warb für ein flächendeckendes Alarmsystem, das mit vernetzter Informationstechnik jene aufspüren müsste, die ihre Ausbildung vorzeitig beenden wollten oder bereits beendet haben, sowie für den Einsatz spezieller »Coaches«.

Deutlich wurde, dass Abiturienten am wenigsten von Arbeitslosigkeit bedroht sind. In Brandenburg strebt die Hälfte der Schüler das Abitur an, so dass trotz der dualen Ausbildungsangebote schon rechnerisch zu wenige Bewerber für Handwerk, Pflege, Dienstleistung, Landwirtschaft, Gaststätten übrig belieben - auch wenn ihnen eine »zweite, dritte oder vierte Chance« geboten wird.

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