- Politik
- Urteil zum Zensus
Karlsruhe bestätigt Bevölkerungszählung
Berlin und Hamburg scheitern mit Klage gegen den Zensus 2011 / Millionenverluste für Stadtstaaten
Um seine Herrschaft aufrecht zu erhalten, muss ein Staat drei Bereiche im Griff haben: Staatsgebiet, Staatsgewalt und Staatsvolk. Das Staatsvolk kann nur durch Wissen kontrolliert werden. Wo wohnen, arbeiten, heiraten, beten und sterben die Bürger? Diese und weitere Daten wurden zuletzt 2011 im Zensus ermittelt. Damals protestierten Bürger zu Tausenden und versuchten vergeblich, sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das staatliche Datensammeln zu wehren.
Mit Berlin und Hamburg haben sich zwei Stadtstaaten gegen den Zensus 2011 gestellt. Für sie geht es dabei nicht um Bürgerrechte, sondern um Geld. Denn die Zuwendungen, die sie im Rahmen des Länderfinanzausgleichs erhalten, sind an ihre Einwohnerzahl gekoppelt.
Im Zensus wurde die Einwohnerzahl Berlins um 180.000 nach unten korrigiert, was jährlich zwischen 470 und 490 Millionen Euro weniger einbringt. Hamburg verliert durch die Statistik rechnerisch 83 000 Bürger und muss deshalb auf bis zu 100 Millionen Euro verzichten.
Aus diesem Grund strengten die Senate der beiden Länder eine »abstrakte Normenkontrolle« an. Dabei handelt es sich um ein Verfahren ohne Klagegegner, bei dem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) überprüft, ob Bundes- oder Landesgesetze mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
Dies ist laut Urteil von Mittwoch der Fall. Sowohl das Zensusgesetz 2011 als auch die dazugehörigen Verordnungen sind demnach rechtmäßig. Die Vorschriften verstoßen laut Gericht »nicht gegen die Pflicht zur realitätsnahen Ermittlung der Einwohnerzahl«. In der Begründung betont das BVerfG den »Gestaltungsspielraum« des Gesetzgebers hinsichtlich der Erhebungsmethode.
Gerade die Methode ist ein Zankapfel. Die Statistikämter hatten sich ab 2011 vorrangig auf Meldedaten gestützt. Um Unstimmigkeiten zwischen Melderegister und Gebäude- sowie Wohnungszählungen auszuräumen, wurden in 90 Prozent der Städte Befragungen durchgeführt. Bei Städten mit mehr als 10 000 Einwohnern wurden hingegen »Karteileichen«, also nicht existierende, aber gemeldete Bürger, anhand von Stichproben auf die Gesamteinwohnerzahl hochgerechnet. Der Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) kritisierte: »Die Last der Korrekturen tragen große Städte. Kleine Städte und Gemeinden werden gar nicht daran beteiligt.«
Diese methodische Ungleichbehandlung wurde in Karlsruhe für erforderlich befunden, da es keine gleichermaßen geeigneten Alternativen gebe. Eine Vollerhebung bedeute einen vergleichsweise höheren Aufwand, etwa für die Schulung von Befragungspersonal, mögliche Ungenauigkeiten sowie eine »Belastung der Befragten«. Für die registerbasierte Methode des Zensus gebe es eine »höhere Akzeptanz in der Bevölkerung«.
In Rechtskreisen heißt es, das BVerfG sei davor zurückgescheut, einzugreifen. Kleinere Ungerechtigkeiten würden zum Zweck des Bestandsschutzes und der Kostenersparnis in Kauf genommen. Sonst müsste der gesamte Zensus neu aufgerollt werden, der schon 2021 wieder durchgeführt werden soll. Wie Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle betonte, ist auch für die sozialstaatliche Politik eine »stabile Datenbasis« unverzichtbar.
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