Zivilgesellschaft wehrt sich gegen Neonazis

Zahl der Einschüchterungen und Drohungen im Südosten nehmen zu - ein Besuch im Zentrum für Demokratie in Niederschöneweide

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 4 Min.

Ober- und Niederschöneweide: Lange war es ruhig um die Stadtteile im Südosten, die einst nicht so recht zum Image des hippen und weltoffenen Berlins passen wollten. Öfter gab es negative Schlagzeilen: Zuletzt wurden zwei Obdachlose am Bahnhof mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet - der Fall erregte viel Aufmerksamkeit. Und auch das Zentrum für Demokratie (ZfD), welches nur wenige Meter vom Tatort entfernt ist, hat nichts Gutes zu vermelden: »Neonazistische Gewalt in Schöneweide nimmt wieder zu«, schreibt es aktuell in einer Mitteilung.

Dass jedoch nicht alles schlecht ist in dem alten Industrieareal zeigen die Mitarbeiter des Zentrums selbst: Gianna Faust und Benedikt Hotz arbeiten noch nicht sehr lange dort und doch sind die 28-Jährige und der 32-Jährige von ihrer Arbeit überzeugt. »Dahinter steht auf jeden Fall eine antifaschistische Grundüberzeugung«, sagt Hotz dem »nd«.

Doch auch sie sahen zu Beginn Schwierigkeiten in dem Kiez: »Das Gefühl, dass das hier Feindesland ist, war schwierig wegzubekommen«, sagt Faust. Als sich dies langsam geändert hatte, wurde das Bild schnell wiederhergestellt: Von der Kundgebung zu dem Vorfall am Bahnhof, welche vom ZfD organisiert wurde, wird ein Foto von Faust im Internet veröffentlicht. Eigentlich nur auf der Internetseite einer Zeitung, doch Rechte übernahmen es und eine Flut an Bedrohungen, Mord- und Vergewaltigungsfantasien erreichte die 28-Jährige. Es sollte der Anfang einer Reihe von neuer neonazistischer Aktivität in Ober- und Niederschöneweide werden - immer wieder im Fokus: Das Zentrum für Demokratie und seine Mitarbeiter.

»Es gibt die Erzählung, dass die Strukturen weg sind und somit auch die Nazis«, erklärt Faust. Seitdem 2014 die letzte Kneipe von Neonazis geschlossen hat und die »braune Straße« Geschichte ist, wie die Brückenstraße einst genannt wurde, wird von vielen angenommen, dass somit auch die Faschisten weg wären. Dieses Bild muss man revidieren. Das zeigten die letzten Monate und vor allen Dingen der August: Die lokale Registerstelle, welche neonazistische und rassistische Vorfälle dokumentiert, verzeichnet einen erheblichen Anstieg an Angriffen, Beleidigungen und Bedrohungen für diesen Zeitraum. Schwerpunkt der Aktivität: Neben Adlershof und Köpenick-Mitte sind es Nieder- und Oberschöneweide. Und auch die Mitarbeiter berichten von Personen, die sie stalken - gerade in den sozialen Medien.

Was motiviert jemanden, sich genau dort für Demokratie einzusetzen, wo es am Unangenehmsten ist? »Ein wichtiger Grund für meine Arbeit hier ist, dass mein Herz für die Außenbezirke schlägt«, sagt Faust. Trotz aller Neonazis und Rassisten gäbe es so viele engagierte Leute und eine hohe Sensibilität bei Politik und Zivilgesellschaft. Hier könnten noch langfristige und kleinteilige Projekte realisiert werden, so Hotz - es sei keine »Eintagespädagogik« wie bei anderen Bildungsträgern.

Für beide ist es jedoch auch etwas Persönliches: Faust kommt aus Pankow und Hotz aus Sachsen. Schon in ihrer Jugend haben sie ähnliche Erfahrungen gemacht wie nun in Treptow-Köpenick. »Ich weiß, dass es manchmal nicht leicht ist«, sagt die ZfD-Mitarbeiterin, über die Arbeit in Außenbezirken. Das Zentrum muss mit Juweliergittern und einer Schließanlage gesichert werden. Besonders in Pankow habe es in ihrer Jugend ähnliche Probleme gegeben wie in Oberschöneweide damals und auch heute noch. »Der braune Sumpf war immer relativ nah.« Damals sei sie im lokalen Jugendzentrum aktiv gewesen - dem JUP. »Als Jugendliche sind wir von da dann irgendwann weggezogen.« Es sei zu gefährlich gewesen. Sie ging nach Prenzlauer Berg. Nun ist sie wieder zurück im Außenbezirk: Für ihren Job zog sie kürzlich in die Gegend. Vielen anderen Antifaschisten wirft sie vor, etwas bequem geworden zu sein - nur manchmal natürlich.

Ähnlich sieht es bei Hotz aus: Er begann seine Karriere in der Bildungsarbeit beim »Netzwerk für Demokratie und Courage« in Sachsen. »Wir wollten die Zivilgesellschaft und antifaschistische Gruppen zusammenbringen.« Mit diesem Ziel seien Probleme vorherzusehen: »Das war und ist nicht immer einfach.« Trotzdem habe man inhaltliche Differenzen überwinden können, um gegen Nazis vorzugehen.

Doch wie schafft man es, dass einen so eine Arbeit auf Dauer nicht frustriert? Das hänge damit zusammen, was man in diesem Bezirk als Erfolg sehen würde, sagt Faust. Eine große Mobilisierung von Antifaschisten aus ganz Berlin zu einem Event sei das nicht zwangsläufig - die würden wieder gehen -, sondern, »wenn wir es tatsächlich schaffen, Leute zu erreichen, die hier wohnen und aktiv sind«, so Faust. Das sei die Zielgruppe.

Und das funktioniert: Immer mehr Anwohner kommen und fragen, wie sie sich einbringen können, und auch sonst kriegen die Mitarbeiter häufig Lob ausgesprochen - wenn das mal keine Motivation ist.

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