Koalition im Krisenmodus

Im Streit um die Zukunft von Hans-Georg Maaßen will SPD-Chefin Andrea Nahles ihre eigene Partei beschwichtigen

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 6 Min.

SPD-Chefin Andrea Nahles ist bemüht, die Wogen zu glätten. Nach viel Kritik in den eigenen Reihen an der geplanten Beförderung von Hans-Georg Maaßen zum Staatssekretär im Innenministerium bat die Sozialdemokratin am Freitag den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) um ein erneutes Gespräch. Bei der Unterredung, die am Sonntagabend geplant war, sollte erneut über die Zukunft des bisherigen Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen verhandelt werden. Aus der SPD hieß es, dass dieser nicht befördert werden dürfe.

Seehofer, der auch Bundesinnenminister ist, erklärte in der »Bild am Sonntag«, dass er eine Entlassung von Maaßen ausschließe. »Das mache ich nicht aus Trotz, sondern weil die Vorwürfe gegen ihn nicht zutreffen.« Den Vorwurf, Maaßen sei »rechtslastig oder vertrete rechtsextremistische Positionen, weise ich mit allem Nachdruck zurück«, sagte Seehofer.

Wie es in der Koalition hieß, wollen Merkel, Seehofer und Nahles vor einer möglichen Zusammenkunft zunächst telefonisch eine gemeinsame Linie suchen. »Es wird erst ein Treffen der Parteivorsitzenden geben, wenn ich weiß, was die Forderungen der SPD sind und wie eine Einigung mit der Union funktionieren könnte«, sagte Seehofer und betonte: »Es wird keine Zusammenkunft ohne ein vorheriges Lösungsszenario geben, das alle Beteiligten in der Zukunft mittragen.«

Nahles sagte, die Regierung werde nicht an der Causa Maaßen scheitern. Sie warf Seehofer aber vor, die Koalition durch sein Agieren »mehrfach auf eine Belastungsprobe gestellt« zu haben.

In den letzten Tagen hatte sich in der SPD viel Wut aufgestaut. Zahlreiche Funktionäre waren sauer, weil Nahles bei einem Treffen mit Merkel und Seehofer in der vergangenen Woche zunächst der Beförderung von Maaßen zugestimmt hatte. Nicht nur Vertreter des linken Flügels hatten Kritik an Nahles geübt. So meldete sich kürzlich auch der frühere nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Michael Groschek, der auch im Bundesvorstand der SPD sitzt, zu Wort. Er warf Nahles einen »schweren Fehler« vor. Denn die Sozialdemokraten wollten Maaßen eigentlich komplett loswerden. Groschek sympathisiert mit dem Seeheimer Kreis, in dem sich konservative Bundestagsabgeordnete der SPD zusammengeschlossen haben. Die Seeheimer und ihre Freunde galten bislang im Unterschied zu vielen linken Sozialdemokraten als Unterstützer der Großen Koalition. Eine mögliche Beförderung Maaßens war aber auch für manchen SPD-Politiker vom konservativen Parteiflügel ein zu großes Zugeständnis an Seehofer, der an Maaßen festhalten will.

Das Thema ist für die Sozialdemokraten äußerst brisant. Denn es geht um die Glaubwürdigkeit der SPD bei der Bekämpfung von Rechtsradikalismus. Maaßen hatte die rassistischen Hetzjagden in Chemnitz verharmlost und dubiose Kontakte mit Spitzenpolitikern der AfD gepflegt. Zwar wird in der SPD über viele Themen wie etwa Sozial- und Friedenspolitik regelmäßig gestritten, aber bislang war es Konsens in der Partei, dass sie sich klar gegen Rechtsradikalismus positioniert. Das ist ein Grund dafür, warum Nahles flügelübergreifend kritisiert wurde.

Die Partei- und Fraktionsvorsitzende hatte bisher eine heterogene Machtbasis in der SPD. Sie konnte mit der Unterstützung von Befürwortern der Großen Koalition sowie von Parteilinken rechnen, die sich mit ihr arrangieren wollten. Die frühere Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann hatte Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz im März dieses Jahres noch zugute gehalten, dass sie »den Ton in der Partei ändern wollen«. Der Umgang sei bislang wertschätzend und Vorschläge nicht lästig, lobte Uekermann. Ihr Nachfolger an der Spitze der Jungsozialisten, Kevin Kühnert, hatte kurze Zeit später erklärt, er wolle Nahles bei der Vorstandswahl seine Stimme geben. »Das ist keine Jubelentscheidung, sondern eine sachliche Abwägung«, sagte er.

Einige Kritiker der schwarz-roten Koalition wie Uekermann und Kühnert hegten die Hoffnung, dass Nahles sich für einen Wandel in der Partei einsetzen würde. Nahles selbst hatte auf dem Wiesbadener Parteitag, auf dem sie am 22. April gewählt wurde, große Versprechen abgegeben. »Man kann eine Partei in der Regierung erneuern. Das will ich ab morgen beweisen«, rief sie den Delegierten entgegen. Nahles gab sich in ihrer Rede außerdem als Kämpferin für eine soziale und antifaschistische Politik. »Ich verachte die Rechtspopulisten. Denn sie kämpfen gegen die Schwächsten«, verkündete die Sozialdemokratin. Hierfür erhielt Nahles besonders viel Applaus.

Dass sie nun große Probleme hat, einem Rechtspopulisten wie Seehofer die Stirn zu bieten, ist für viele Politiker und Mitglieder der SPD unerträglich. Auch Uekermann und Kühnert waren deswegen entsetzt und haben sich in dieser Frage gegen Nahles gestellt.

Diejenigen, die gehofft hatten, dass Nahles als Parteivorsitzende im Umgang mit der Union besonders »durchsetzungsstark« sein werde, lagen offensichtlich falsch. Diese Hoffnungen hatte der neue SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil kurz vor der Wahl der neuen Vorsitzenden in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk mit diesen Worten zusammengefasst: »Jeder weiß, dass Andrea Nahles eine eigene Position auch bezieht, und das ist wichtig in Zeiten, in denen wir auf der einen Seite in die Koalition gegangen sind, um gut zu regieren, auf der anderen Seite aber auch wollen, dass die SPD mit einem eigenen Profil sichtbar bleibt. Und das kann Andrea Nahles garantieren.«

Dagegen befürchten einige Vertreter des linken SPD-Flügels schon seit Monaten, dass die Partei sich mit ihr an der Spitze in der Großen Koalition der Politik der Union weiter anpassen und weitere Wähler verlieren wird. Diese Befürchtungen scheinen sich zu bestätigen. Die kürzlich veröffentlichte Umfrage Deutschlandtrend von Infratest dimap im Auftrag des »ARD Morgenmagazins« sieht die Sozialdemokraten nur noch bei 17 Prozent. Die rechte AfD wäre demnach mit 18 Prozent die zweitstärkste Kraft in der Bundesrepublik.

Nahles muss nun schwierige Wochen überstehen. Sie weiß, dass der SPD-Vorsitz lange als Schleudersitz galt. Nach dem Abgang von Gerhard Schröder im März 2004 wechselten die Sozialdemokraten bis November 2009 sechs Mal ihren Chef aus. In dieser Zeit war die Partei in eine schwere Krise geraten, unter deren Auswirkungen die SPD noch immer leidet.

Das dürfte sich auch bald bei Wahlergebnissen bemerkbar machen. Bei den Landtagswahlen in Hessen und Bayern im Oktober drohen den Sozialdemokraten herbe Niederlagen. Das derzeitige Rumoren in der SPD dürfte dann noch lauter werden. Die Wahlkämpfer Torsten Schäfer-Gümbel in Hessen und Natascha Kohnen in Bayern könnten darauf verweisen, dass die Bundes-SPD zumindest teilweise schuld für das schlechte Abschneiden in den Ländern ist. Weil auch CSU und CDU in Bayern beziehungsweise Hessen Verluste befürchten müssen, dürfte sich die Krise der Großen Koalition in Berlin nach den Landtagswahlen noch verschärfen.

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