• Berlin
  • NSU-Ausschuss in Brandenburg

Der Verfassungsschutz deckte Neonazis

NSU-Ausschuss beschäftigte sich mit dem Fall des V-Mannes Toni Stadler und des Geheimdienstlers Dirk Bartok

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 3 Min.

Es lief wie in einer Agentenkomödie, war aber nicht lustig, sondern traurig. In Cottbus stand eine Durchsuchung bei dem Neonazi Toni Stadler bevor. Der mischte nicht nur bei der Produktion von Rechtsrockmusik mit, sondern arbeitete nebenher als Spitzel für den Verfassungsschutz. Sein Führungsbeamter, der für sich selbst den Decknamen Dirk Bartok verwendete, warnte Stadler nicht nur, er beschaffte ihm auch noch einen Computer. Den sollte der Neonazi bei sich in der Wohnung hinstellen, damit die Polizei dieses Gerät beschlagnahmt und nicht den echten Rechner mit Kundendaten und Beweisen für strafbare Handlungen, den Stadler im Keller eines Nachbarn versteckte. Doch die Polizei schöpfte Verdacht, weil die Dateien auf dem Ersatzcomputer darauf hinwiesen, dass er noch nicht privat benutzt wurde. Außerdem - das setzt der Sache die Krone auf - passten die Anschlüsse nicht.

Ende 2002 wurde Toni Stadler zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Er hätte seine Geschäfte niemals in so großem Stil aufgezogen, wenn ihm nicht Straffreiheit zugesichert worden wäre, sagte Stadler im Prozess aus. Dass der Verfassungsschutz von Verkehrsdelikten gewusst und den Neonazi damit erpresst und zu einer Informantentätigkeit gezwungen haben soll, wurde von Richter Hans-Joachim Brüning strafmildernd berücksichtigt. Stadler zog 2003 nach Dortmund. Es wird behauptet, er habe sich an seinem neuen Wohnort 2006 mit dem NSU-Terroristen Uwe Mundlos getroffen. Stadler bestreitet das. Andere Hinweise auf mögliche Verbindungen Stadlers zu den Taten des Nationalsozialistischen Untergrunds, insbesondere zum Mord an Mehmet Kubaşik, sind vage.

Aber darum ging es nicht am Donnerstag im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags. Vielmehr sollten die Beziehungen Stadlers zum brandenburgischen Verfassungsschutz und das Verhalten des Geheimdienstes in dieser Sache noch einmal aufgerollt werden. Denn wie der Verfassungsschutz grundsätzlich mit V-Leuten umging, welche Straftaten er duldete und sogar deckte, soll der Ausschuss möglichst genauso aufklären wie die konkrete Verstrickung der Verfassungsschützer in den NSU-Skandal.

Was sich der Verfassungsschutz im Fall Toni Stadler in den Jahren 2000 bis 2002 geleistet habe, belege eindeutig, dass die Geheimdienstler aus den Erfahrungen mit dem Neonazi Carsten Szczepanski alias »Piatto« nichts gelernt hatten, sagt der Landtagsabgeordnete Volkmar Schöneburg (LINKE). Es seien nicht bloß Einzelfälle gewesen, es gebe »Kontinuitätslinien«, sagt der Abgeordnete, der von Beruf Rechtsanwalt ist. »Den V-Mann-Führer hätte man verurteilen müssen. Es deutet alles darauf hin, dass Bartok in Mittäterschaft gehandelt hat.« Doch Bartok kam davon. Die Ermittlungen gegen ihn wurden 2005 wegen angeblicher Geringfügigkeit eingestellt. Das sei geschehen, um die »Machenschaften jenseits von Recht und Gesetz zu decken«, ist Schöneburg überzeugt.

Wegen dieser Sache ist neben Richter Hans-Joachim Brüning am Donnerstag auch der Staatsanwalt vor den Untersuchungsausschuss geladen, der sich damals mit Bartok befasste. Großartig etwas Neues ist dabei allerdings nicht herausgekommen, auch wenn Brüning bestätigt, die Einleitung von Verfahren gegen Verfassungsschutzbeamte hätte seinerzeit eigentlich nahegelegen. Atemberaubende Neuigkeiten hat Schöneburg auch gar nicht erwartet. Allenfalls einige Details könnten noch in einem neuen Licht gesehen werden. Ansonsten sei schon so ziemlich alles bekannt. Überflüssig sei es dennoch nicht, dass sich der Untersuchungsausschuss noch einmal mit diesen mehr als 16 Jahre zurückliegenden Dingen befasst. Es kommt ins Protokoll, es kann im Abschlussbericht verwendet werden, um zu beleuchten, wie der Verfassungsschutz bei der Anwerbung von V-Leuten in der rechten Szene vorgegangen ist und wie er dann mit ihnen arbeitete. Dass dem Geheimdienst der Schutz seiner Quellen wichtiger war als die Verhinderung von Straftaten, dürfte inzwischen sonnenklar sein.

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