»Hase ...

Kathrin Gerlof findet beim Nachdenken über die deutsche Einheit: Das ist eine ganz schwierige Beziehungskiste

  • Kathrin Gerlof
  • Lesedauer: 3 Min.

... du bleibst hier!« Es ist natürlich eine Steilvorlage, wie sie Hertha am letzten Freitag gleich mehrfach bekam, als sie die Bayern aus dem Oktoberfesttaumel fegte, heute eine Kolumne im Blatt zu haben. Und »Hase, du bleibst hier!« scheint der möglicherweise klügste Satz gewesen zu sein, der in diesem Einheitsjahr gesprochen wurde. Gewiss, die Umstände waren nicht die besten, als Hase in Chemnitz mal ein bisschen mitmischen wollte und von seiner Frau/Freundin/Schwester zurückgepfiffen wurde, weil die möglicherweise ahnte, dass es Ärger geben würde, gebärdete sich Hase wie ein asozialer Löwe (wir sahen im Osten schon ganz andre Tiere hausen und machten ihnen doch den blutigen Garaus).

Hätte in den vergangenen Jahren und inzwischen fast drei Jahrzehnten der eine oder andere Ostkerl seiner Ostbraut zugerufen »Hase, du bleibst hier!«, sähe es in Dunkelland, wie die neuen und inzwischen in die Jahre gekommenen Bundesländer gern genannt werden, nicht so finster aus. Ein eklatanter Männerüberschuss macht noch aus jeder schönen Landschaft Gegend, und irgendwann hört es dann auch auf zu blühen. Das hat Kohl nicht gewusst, Merkel weiß es vielleicht, aber die ist ja gerade selbst gescheitert mit »Hase, du bleibst hier!« und musste Volker Kauder ziehen lassen, was dazu führt, dass zum gefühlt einhundertvierundzwanzigsten Mal das Ende der Ära Angela herbeigeschrieben wird. Während Seehofer mehr Glück hatte, als er Maaßen zuraunte »Du bleibst hier, Hase!«. Das hat geklappt, was wieder mal zeigt, dass es eben darauf ankommt, ob ein Kerl oder eine Frau was sagt, weniger auf das Maß der Intelligenz und schon gar nicht auf Anstand.

In Berlin manifestiert sich der Tag der Deutschen Einheit unter anderem am Alexanderplatz in einem rauschenden Oktoberfest, bei dem es ohne Pause atemlos durch die Nacht schallt, selbst am helllichten Tag, und an den Buden statt Weihnachtsdeko weißblaue Fahnen wehen. Grillwalker osteuropäischer Herkunft bieten im Rahmen moderner Ausbeutung Bratwurst thüringischer Art an, aber es gibt auch bayerisches Nackensteak und Blasmusik.

Wichtiger als Party ist jedoch der jährliche Bericht der Bundesregierung, die sich einen eigenen Beauftragten für die FNBL (fünf neue Bundesländer) leistet und nicht müde wird zu verkünden, dass der Osten Deutschlands wirtschaftlich aufholt. Das tut er jetzt seit 28 Jahren und man fragt sich, wann endlich überholt wird oder ob wir wirklich - wider alle Erfahrungen - erst einholen müssen. Wir liegen ja nicht in allem zurück, nur eben bei Lohnniveau und Wirtschaftskraft. Die ostdeutsche Wirtschaft scheint den Satz »Hase, du bleibst hier!« zu ernst zu nehmen und exportiert einfach nicht ausreichend.

Dabei gründet der gesamte schöne Reichtum der großen BRD doch genau darauf: dass wir exportieren, andere Wirtschaften damit in die Schranken verweisen und uns von dem veritablen Überschuss ein feines Leben auf Kosten anderer leisten. Nur der Osten nicht, der dumme Hase. Stattdessen: ein immer noch großer Strukturunterschied zwischen Ost und West aufgrund mangelnder Internationalisierung (Zitat Bundesregierung), zu der sich niedrigere Produktivität und fehlende Spitzengehälter gesellen. Eine toxische Mischung ist das. Das uns jetzt auch noch der Internationalismus abhandengekommen ist, macht aus einer traurigen Angelegenheit ein echtes Problem.

Unser Ostbeauftragter Christian Hirte (CDU) ärgert sich trotzdem, dass der Osten - also sein Auftrag - immer nur als Problem wahrgenommen wird. Aber es ist ja auch nicht schön, wenn hier so viele Hasen rumlaufen, die denken, es sei legitim, Hasen anderer Nationalität aus dem Revier vertreiben zu müssen. Wenn wir so weitermachen, landen wir alle bei der Müllabfuhr. Und bestätigen, was man sowieso schon immer über uns wusste.

Morgen aber gehen wir erst mal alle feiern. Es ist unser Tag. Morgen sind wir alle gleich. Vor Gott sowieso, aber auch vor dem Vaterland.

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