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Der alte Mann und das Hassgefühl
In seinem Buch über den Politiker Alexander Gauland erklärt der Journalist Olaf Sundermeyer dessen Rechtsruck
Alexander Gauland ist ein konservativer Gentlemen, der sich in einen rechten Scharfmacher verwandelte, aber er ist kein Rechtsextremist und kein Antisemit. Gauland duldet jedoch Neonazis und Judenhasser, die sich in der AfD tummeln. Er nimmt sie für ihre unsäglichen Äußerungen in Schutz, provoziert zunehmend selbst. Aber es gibt noch die feinen Unterschiede zwischen ihm und ihnen. So würde er nie »Systemmedien« oder »Lügenpresse« sagen, wie so viele seiner Anhänger es tun. Er weiß, wie die Medien in der Bundesrepublik funktionieren, wie man die Berichterstattung beeinflussen kann und wie nicht. Das läuft anders ab, als das Fußvolk der AfD naiv glaubt. Gauland hat Freude am Umgang mit Journalisten und beginnt den Tag daheim in Potsdam mit der Lektüre von »Frankfurter Allgemeine Zeitung«, »Welt« und »Tagesspiegel«. Aber bei Kundgebungen wie auf dem Oberkirchplatz in Cottbus heizt er die Stimmung an, bis die Menge »Lügenpresse« skandiert.
Olaf Sundermeyer, rbb-Investigativreporter, hat Gauland in solchen Situationen beobachtet, hat oft mit ihm geredet. Gesprochen hat Sundermeyer auch mit alten und neuen Weggefährten, von denen sich viele nicht namentlich zitieren lassen wollten. Dennoch bekam Sundermeyer genug Material zusammen, um ein aufschlussreiches Buch zu verfassen: »Gauland. Die Rache des alten Mannes«. Das Buch ist gut geschrieben bis ins Detail, bis hin zu den Schweißtropfen, die sich Gauland von der Stirn wischt - und damit aus einem Gesicht, das zum Aufmacherbild in den Abendnachrichten wird.
Die alten Freunde aus Frankfurt am Main und die neuen Kumpane aus Brandenburg, die haben wenig bis nichts miteinander gemein. Die Tochter, evangelische Pfarrerin, mit der er Reisen unternimmt, hilft Flüchtlingen und versteht nicht, wohin es mit ihrem Vater gekommen ist.
Peter Iden, Kunstkritiker und langjähriger Feuilletonchef der »Frankfurter Rundschau«, hat zwar nicht mit Gauland gebrochen, meidet aber Treffen mit ihm an Orten, bei denen eine zufällige Begegnung mit Menschen aus der Kulturwelt wahrscheinlich ist. So schildert Sundermeyer das. Er hat keine klassische Biografie verfasst, sondern eine Charakteranalyse in 14 Kapiteln, in die Wissen über Herkunft und Lebensweg des Alexander Gauland einfließt. Geboren 1941 in Chemnitz als Sohn eines schon alten kaiserlichen Offiziers und Veterans des Ersten Weltkriegs, flieht Gauland 1959 aus der DDR in die Bundesrepublik, wo er Rechtswissenschaften studiert, seine Doktorarbeit schreibt, im Bundespresseamt Anfragen von Journalisten bearbeitet, als Presseattaché in Edinburgh wirkt, schließlich Büroleiter des Frankfurter Oberbürgermeisters Walter Wallmann (CDU) wird. Als Wallmann 1987 hessischer Ministerpräsidenten wird, macht er Gauland zu seinem Staatskanzleichef.
In der neuen Verwendung bekam es Gauland gleich zu Beginn mit einer Sozialdemokratin zu tun, die als Redenschreiberin beschäftigt war und diese Tätigkeit unter der neuen CDU/FDP-Landesregierung nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren konnte. Gauland beurlaubte sie. Christa Müller fand einen neuen Job in der Bonner SPD-Parteizentrale und lernte dort ihren späteren Ehemann Oskar Lafontaine kennen. Sundermeyer schreibt: »Gauland muss selbst ein bisschen lachen, als er sagt: ›Die Müller verdankt Lafontaine mir.‹«
Mehr als eine Anekdote ist ein Streit mit einem Ministerialbeamten, den der Schriftsteller Martin Walser in seinem Schlüsselroman »Finks Krieg« verarbeitete. Finks Gegenspieler Tronkenburg war in Wirklichkeit Gauland. Fink sagt im Roman über Tronkenburg, den Sachsen ohne Akzent: »Mich erinnerte er, trotz seiner feinen Londoner Aufmachung, an meine Fähnleinführer. Wahrscheinlich der Blick, das Kinn, der Mund. Nein, nur der Blick.« Der Roman erschien 1996. Man erwartete, dass Gauland juristisch dagegen vorgehen werde. Zu wenig verschleiert war der reale Hintergrund. Gauland ließ es bleiben.
Schon 1991, als die CDU die Landtagswahl in Hessen verlor, gab es dort keine Verwendung mehr für ihn. Er begab sich als Herausgeber zur »Märkischen Allgemeinen« nach Potsdam. Hier lernte er seine neue Lebensgefährtin, die Journalistin Carola Hein kennen, deren Sohn Stefan ihn später im Jaguar zu Wahlkampfterminen chauffierte. Beide wurden 2014 in den brandenburgischen Landtag gewählt, wo Stefan Hein jedoch alsbald wegen Indiskretionen über die rechtslastige Vergangenheit von Abgeordneten aus der AfD-Fraktion ausgestoßen wurde. Denn Gauland stellt sich nicht gegen den Rechtsdrall. Er erfühlt Stimmungen und nutzt sie aus. Darum steht er nun an der Spitze von Partei und Bundestagsfraktion, während Bernd Lucke und Frauke Petry aus ihren Positionen weggespült wurden. Das ist eine der Schlussfolgerungen Sundermeyers. Er sagt: »Als Gauland in das Alter kam, in dem andere ihren Enkeln die Nase putzen, gründete er mit anderen enttäuschten Rentnern eine neue Partei.«
Dass Strippenzieher Gauland einmal ins Rampenlicht treten würde, hatten sie in der CDU nicht erwartet. Überraschend kam sein Rechtsruck, war er doch früher für Kooperationen nach links offen. So hatte er gemeinsam mit seiner Frau für den Frankfurter Oberbürgermeister Wallmann 1980 die Festrede zur Verleihung des Theodor-W.-Adorno-Preises verfasst. Geehrt wurde der linke Gelehrte Jürgen Habermas, damit Wallmann im linksliberalen Milieu von Frankfurt am Main zu Ansehen gelangt. Mit der Rede der Gaulands, die Frau Habermas zu Tränen rührte, ist dies auch gelungen.
Den Aufstieg der Grünen erlebte Gauland in Hessen hautnah mit. Ihren damaligen rebellischen Protest dreht er nun auf rechts. Vom Zwischenhoch der Piraten hat er gelernt, dass sich eine junge Partei nicht drängen lassen dürfe, verfrüht zu allen möglichen Themen etwas zu sagen. Er hat auch schnell erkannt: Mit dem abstrakten Währungsthema Euro, in das sich Bernd Lucke verbiss, ist die Fünf-Prozent-Hürde nicht zu meistern. Mit der Pegida-Bewegung, von der sich Frauke Petry fernhielt, fand Gauland schließlich das Thema und die Aktionsform, die seine damals kriselnde AfD brauchte.
Im Brandenburger Landtagswahlkampf 2014 hatte er taktisch geschickt Russlandversteher auf seine Seite gezogen, obwohl er doch als Englandfreund westlich orientiert ist. Das Händeschütteln und der Auftritt im Bierzelt liegen dem Schöngeist eigentlich nicht. Doch was gemacht werden muss, das macht Gauland, ungeachtet eines Herzinfarkts und des ärztlichen Rates, sich zu schonen. Der Erfolg der AfD lässt ihn seine Depressionen vergessen.
Sundermeyer spricht von einem Stresstest für die Demokratie und sieht Anzeichen dafür, dass die Bundesrepublik diesen Stresstest besteht. Aber sicher ist das nicht.
Olaf Sundermeyer: »Gauland. Die Rache des alten Mannes«, C.H.Beck, 176 Seiten, 14,95 Euro
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