- Politik
- Protest gegen Flächenfraß
Unterm Asphalt wächst kein Gras
In Bayern wird am heutigen Samstag gegen den zunehmenden Flächenfraß demonstriert
In München geht es rund: Nach den Großdemos mit zehntausenden Teilnehmern in den vergangenen Wochen etwa gegen Mietwucher und gegen das neue Polizeiaufgabengesetz gehen am heutigen Samstag erneut die Menschen auf die Straße. Diesmal gegen den Flächenfraß im Lande. Unter dem Motto »Mia hams satt« haben zahlreiche Verbände, darunter viele Unterstützer des Volksbegehrens gegen den Flächenfraß, zur Teilnahme an der zentralen Demonstration am 6. Oktober in der Landeshauptstadt aufgerufen. Mit dabei auch die Linkspartei in Bayern: »Es braucht endlich eine andere Politik, die die Umwelt und nicht die Konzerne schützt«, so die LINKE-Spitzenkandidatin Eva Bulling-Schröter, »wir brauchen einen echten Klima- und Tierschutz, der seinen Namen wirklich verdient«.
Hintergrund der Kundgebung, die um elf Uhr am Königsplatz startet, ist die Ablehnung des durch Naturschützer initiierten Volksbegehrens gegen den Flächenfraß (»Betonflut eindämmen - damit Bayern Heimat bleibt«) durch den Bayerischen Verfassungsgerichtshof im Juli dieses Jahres. Um das Land vor dem Zubetonieren zu schützen, hatte sich ein Bündnis aus der Ökologisch-Demokratischen Partei ÖDP, den Grünen, der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, dem Landesbund für Vogelschutz und dem Bund Naturschutz in Bayern für ein Volksbegehren engagiert, wodurch dem Flächenfraß in Bayern ein gesetzlicher Riegel vorgeschoben werden sollte.
»Alle bisherigen Aktionen der Staatsregierung zum Flächensparen sind gescheitert, ob es das Bündnis für Flächensparen ist oder die Nachhaltigkeitsstrategie«, begründete Ludwig Hartmann, Grünen-Fraktionschef im Landtag, das Volksbegehren. Der Verlust an früherer freier Landschaft in den vergangenen 20 Jahren entspreche dem Wiesen- und Ackerland von 8200 Bauernhöfen. Und mit den Naturlandschaften verschwänden die Lebensräume für Tier- und Pflanzenarten, wo früher die Bauern Getreide angebaut oder ihre Kühe haben grasen lassen, stünden nun Gewerbegebiete.
Das Bündnis sammelte binnen weniger Wochen mehr als 48 000 Unterschriften (deutlich mehr als die notwendigen 25 000) und reichte diese im März beim bayerischen Innenministerium ein. Das lehnte den Antrag für das Volksbegehren jedoch aus verfassungsrechtlichen Bedenken ab und argumentierte ähnlich wie später der Bayerische Verfassungsgerichtshof: Der Gesetzentwurf schränke die kommunale Planungshoheit ein.
Grünen-Politiker und Sprecher des Volksbegehrens Ludwig Hartmann reagierte auf das Urteil mit Enttäuschung und kündigte an, den Kampf »gegen die fortschreitende Zerstörung unserer Natur und Kulturlandschaft« fortzuführen. Man habe nun die Möglichkeit, »gemeinsam mit den Bündnispartnern« ein neuerliches Volksbegehren vorzubereiten, das die Rahmenbedingungen für eine Höchstgrenze konkretisiere. Auch Richard Mergner vom Bund Naturschutz will den Kampf gegen den Flächenfraß nicht aufgeben: »Wir werden ihn zu einem zentralen Thema im bevorstehenden Landtagswahlkampf machen«, sagte er. Dazu gehört auch die heutige Großdemonstration, die eine Woche vor dem Wahltermin stattfindet.
Hintergrund für das gescheiterte Volksbegehren und die aktuelle Demonstration ist der ansteigende Flächenverbrauch in Bayern. Er beträgt 9,8 Hektar pro Tag (Stand 2016), was in etwa 14 Fußballfeldern entspricht. Pro Jahr werden so rund 36 Quadratkilometer Freifläche in Siedlungs- und Verkehrsfläche umgewandelt. Die Initiatoren des Volksbegehrens wollten den Flächenverbrauch in Bayern mit einer gesetzlichen Höchstgrenze auf fünf Hektar pro Tag halbieren. Als Folge des zunehmenden Flächenverbrauchs stieg in Bayern der Anteil der Siedlungs- und Verkehrsfläche an der Gesamtfläche von 1981 bis 2016 von acht Prozent bis auf zwölf Prozent an.
Die Entwicklung der Siedlungs- und Verkehrsfläche verläuft im Freistaat dabei deutlich dynamischer als die Einwohnerentwicklung. Während die Siedlungs- und Verkehrsfläche im Zeitraum von 1980 bis 2016 um die Hälfte zunahm, stieg die Einwohnerzahl nur um knapp ein Fünftel (18 Prozent) an. Gründe hierfür sind die Ausweisung von Bauland in Gebieten mit Bevölkerungsrückgang, die Zunahme der Einpersonenhaushalte und der zunehmende Bau von Gewerbe- und Verkehrsflächen.
Neben dem Bau von Lagerhallen und Supermärkten gilt im ländlichen Raum auch der Wohnungsbau als Flächenfraß: Denn auf dem Land wird dreimal so viel gebaut wie in der Stadt. Und das auch in Regionen mit sinkender Einwohnerzahl wie im Landkreis Neustadt an der Waldnaab in der Oberpfalz. Dieser Landkreis ist Rekordhalter in Bayern, was den Flächenverbrauch anbetrifft; pro Einwohner wird hier mehr als zweieinhalb Mal so viel zubetoniert wie im Landesdurchschnitt und damit dreimal so viel Wohnraum gebaut wie künftig benötigt.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!