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Neonazi-Prozess wird neu aufgerollt
Erste Runde des Mammutverfahrens gegen 26 Angeklagte war wegen Pensionierung des Richters geplatzt
Koblenz. In Koblenz wird ein zuvor wegen der Pensionierung des zuständigen Richters eingestellter Neonazi-Prozess wieder aufgerollt. Die neue Runde des Mammutprozesses beginnt am 15. Oktober vor dem Landgericht Koblenz.
Es geht um mutmaßliche Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Körperverletzung und Sachbeschädigung. Im ersten Verfahren war in der fast 1000-seitigen Anklage die Rede von Gewalt gegen Linke etwa in Dresden, aufgesprühten Hakenkreuze sowie versuchten Brandanschlägen auf Autos.
Die »kriminelle Vereinigung« mutmaßlicher Neonazis des »Aktionsbüros Mittelrhein« sei in Bad Neuenahr-Ahrweiler in ihrem sogenannten Braunen Haus zusammengekommen. Die meisten Angeklagten hatten in der ersten Runde des Prozesses vor Gericht geschwiegen oder die Vorwürfe zurückgewiesen.
Das erste Verfahren zu Straftaten aus dem Umkreis der mutmaßlich rechtsextremen Organisation »Aktionsbüro Mittelrhein« hatte 2012 gegen ursprünglich 26 Angeklagte begonnen. Unter den Angeklagten waren auch Lokalfunktionäre der NPD.
Das Landgericht stellte den Prozess im Mai 2017 nach 337 Verhandlungstagen wegen der »überlangen Verfahrensdauer« von fast fünf Jahren ein - ohne Urteil. Hintergrund war, dass der Vorsitzende Richter Hans-Georg Göttgen kurz darauf in Pension ging und es keinen Ergänzungsrichter mehr gab. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft dagegen hob das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz die spektakuläre Einstellung des Verfahrens auf.
Nun muss das Landgericht Koblenz wieder beim Punkt null gegen die verbleibenden 17 mutmaßlichen Neonazis anfangen - von denen laut Sprecher Graf niemand mehr in Untersuchungshaft sitzt. Nach und nach könnten nun einzelne Vorwürfe der Anklage verjähren.
Der Vorsitzende Richter im neuen Prozess ist nach Angaben Grafs der Vizepräsident des Landgerichts, Reiner Rühmann. Er ist Mitte 50 - also noch weit von der Pensionierung entfernt. Er hat angeordnet, je zwei Ergänzungsrichter und Ergänzungsschöffen hinzuziehen. Somit könnte ungewöhnlicherweise das neue Verfahren notfalls auch sogar beim Ausfall zweier Richter und zweier Schöffen fortgeführt werden.
Im ersten Prozess kam es zu mehr als 500 Befangenheitsanträgen, gut 240 Beweisanträgen und über 400 Anträgen zum Verfahrensablauf. Die Staatsschutzkammer des Landgerichts warf bei der Einstellung den vielen Anwälten Sabotage und Verzögerung vor - und warnte, eine Neuauflage des Prozesses könnte sogar zehn Jahre dauern. Agenturen/nd
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