Froh über wegfallende Kohlejobs

Die Bewohner des vom Tagebau bedrohten Proschim denken anders als die Gewerkschaft

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Den Bereich um das Seehotel in Großräschen hat die Polizei für den Autoverkehr gesperrt. Vor dem Hotel pfeifen die Kollegen der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, was das Zeug hält. Die Kohlekommission soll ein Ausstiegsdatum für die Verstromung des Rohstoffs nennen und bereist am Donnerstag die Lausitz. Begleitet wird die Kommission von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD). »Wir fahren hier in der Lausitz nicht mit dem Bagger, weil wir gerne Bagger fahren, sondern der Strom aus Braunkohle wird gebraucht für eine zuverlässige und preiswerte Energieversorgung«, argumentiert Woidke gegen einen zügigen Abschied von der Kohle.

Großräschen ist eine Station der Tour. Hier geben die Ministerpräsidenten kurze Statements ab. Woidke geht strahlend ins Seehotel hinein. Draußen haben ihm Hunderte applaudiert, die in den Tagebauen und Kraftwerken arbeiten und Angst um ihre Jobs haben. Sie wissen, dass er auf ihrer Seite steht. Die Kohlegegner haben ebenfalls Angst - vor den Kohlebefürwortern. Ursprünglich wollten die Umweltschützer auch demonstrieren. Aber sie haben auf eine Konfrontation dann doch lieber verzichtet, gesteht Winfried Böhmer vom Naturschutzbund. Die Polizei habe eingeschätzt, dass es sonst zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen könnte.

»Ich verstehe, dass die Leute Angst haben um ihren Arbeitsplatz«, sagt Hagen Rösch mit Blick auf die Kohlekumpel. »Aber der Zorn darf sich nicht gegen die Naturschützer richten oder gegen die Bundesregierung.« Hagen Rösch ist Geschäftsführer. Zu seiner Rösch-Gruppe gehört ein Agrarzweig mit 3500 Hektar Land, 3000 Rindern und zehn Fleischereifilialen. Die 80 Beschäftigten produzieren auch Solarstrom und Biogas. Das ist im Revier ein Kontrastprogramm zu dem, was die Menschen hier gewöhnt sind. Hagen Rösch fährt dieses Kontrastprogramm nicht zufällig. Firmensitz ist Proschim, ein Dorf, das dem Tagebau Welzow-Süd II weichen soll. Wann genau und ob überhaupt, weiß im Moment niemand. Die Lausitzer Energie AG (LEAG) wartet ab, wie sich für sie die Rahmenbedingungen entwickeln. Das hängt auch von der Kohlekommission ab. Die Bewohner von Proschim müssen deshalb genauso zittern wie die Kohlekumpel und Kraftwerker. Aber in Proschim wollte die Kommission auf ihrem Weg einfach durchfahren, höchstens kurz am Ortseingang anhalten, damit Hagen Rösch zusteigen und seine Sicht schildern könne, solange der Bus durchs bedrohte Dorf rollt. Das lehnte Rösch ab. Er nennt den Vorschlag »würdelos«. Was hätte er der Kommission denn gesagt? »Ich freue mich, dass Sie da sind. Leider zehn Jahre zu spät, leider mit den falschen Fragestellungen.« Viel zu lange habe man verbissen an der Kohle festgehalten, den unumgänglichen Ausstieg vor sich hergeschoben und einen frühzeitigen Strukturwandel blockiert, beklagt Rösch. So sei sein eigener Plan eines Solarparks nicht zugelassen worden, weil er zu nahe an den Kohlebaggern gestanden hätte.

Dass sich in Zukunft große Investoren ansiedeln und so Ersatz für die im Tagebau wegfallenden Jobs schaffen, kann sich Rösch nicht vorstellen. »Ich wüsste nicht, warum sich ein großes Unternehmen hier ansiedeln sollte. Die Bedingungen sind denkbar schlecht.« Die Infrastruktur sei mangelhaft, das Internet zu langsam. Gesetzt werden müsste auf kleine und mittelständische Firmen mit frischen Ideen, doch die Gewerkschaft mache sich noch lustig über Tretbootverleiher und Nagelstudios, schimpft Rösch. Er glaubt allerdings auch nicht, dass Massenarbeitslosigkeit droht. Gegenwärtig habe der Mittelstand Schwierigkeiten, Mitarbeiter zu finden. Das würde anders werden, wenn die Braunkohle nicht mehr gefördert wird. »Wir können froh sein über jeden Arbeitsplatz, der in Ostdeutschland wegfällt«, zitiert Rösch eine zugespitzte Analyse der Bevölkerungsentwicklung.

Böhmer vom Naturschutzbund hat selbst 39 Jahre im Kohlekraftwerk gearbeitet, hat nach der Wende, als etliche Tagebaue und Kraftwerke stillgelegt worden sind, als Betriebsrat noch einen Sozialplan ausgehandelt und war dann arbeitslos. Über die Folgen der Kohleverstromung für die Umwelt begann er aber bereits in der DDR nachzudenken. Die Menschen fürchten, dass es wieder so schlimm wird wie nach der Wende, weiß Böhmer. Das weiß auch Edith Penk, die zur slawischen Minderheit der Sorben gehört. Dabei sind von einst 130 000 Lausitzern sowieso nur noch 8000 in der Kohlebranche. Doch die Jugend fange gern eine Ausbildung bei der LEAG an, weil im Handwerk oder in der Landwirtschaft weniger zu verdienen sei. Doch weise erklärt die 80-jährige Penk: »Was nützt euch das schöne Geld, wenn nichts mehr auf den Feldern wächst.«

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