Wenn Staaten ausgehöhlt werden
Das südliche Afrika steht vor großen Herausforderungen: Autoritäre Politik in Zeiten wachsender Ungleichheit
Mit dem Ende des Kalten Krieges 1989, der Unabhängigkeit Namibias 1990 und dem Sturz des Apartheidregimes in Südafrika 1994 begann für viele Länder des südlichen Afrikas eine Zeit relativer Stabilität und des politischen Pluralismus. Die Friedensdividende erfüllte jedoch nicht die in sie gesetzten Erwartungen. Der Demokratisierungsprozess der Southern-African-Development-Community-Staaten (SADC) verläuft unübersichtlich; eine Wende hin zu autoritären Tendenzen zeichnet sich bei einigen Mitgliedstaaten ab.
Das südliche Afrika profitiert seit Beginn der 2000er-Jahre von beträchtlichen Investitionen in den Bergbausektor, getrieben vom Aufschwung Chinas, Indiens und der fortschreitenden Digitalisierung. Die Region ist damit in einer globalisierten Wirtschaft von strategischer Wichtigkeit. Bislang haben sich Forscher auf Aspekte guter Regierungsführung und Wahlen konzentriert, Wirtschaftsanalysten auf Wachstum und Preisprognosen für begehrte Rohstoffe wie Kobalt, Kupfer, Platin, Uran und Seltene Erden. Weniger Beachtung fand das ebenfalls stattfindende Aushöhlen staatlicher Strukturen infolge harter, neoliberaler Austerität. Sie wurden in jüngerer Zeit intensiviert und gehen mit massiven sozioökonomischen Ungleichheiten einher.
Dr. Patience Mususa, Jahrgang 1975, arbeitet am Nordic Africa Institute im schwedischen Uppsala. Ihr Arbeitsschwerpunkt umfasst den Bergbau und die Urbanisierung im Südlichen Afrika. Sie studierte unter anderem in Oxford und promovierte 2014 an der Universität Kapstadt. Ihr hier dokumentierter Text ist der neuen Ausgabe der Oktober-Ausgabe des außenpolitischen Journals »WeltTrends« entnommen, das einen Afrika-Schwerpunkt enthält. Darin geht es um die Situation in Südafrika Angola und Simbabwe und um autoritäre Tendenzen in Staaten des Südlichen Afrika. Foto: nai.uu.se
Weitere Informationen: welttrends.de
Wurzeln der Ungleichheit
2013 wies ein Bericht der International Labour Organisation (ILO) auf schlechte Lebensbedingungen, hohe Arbeitslosigkeit und Ungleichheit im südlichen Afrika hin. Für viele Länder wurden alle Fortschritte rückgängig gemacht, die kurz nach Erlangung der Unabhängigkeit zur Bekämpfung dieser Probleme erreicht wurden. Der Bericht empfahl einen Ausbau staatlicher Eingriffe zugunsten der ärmeren Bevölkerungsteile, die weniger von den inneren Zirkeln der Regierungsparteien und Geberorganisationen abhängig sind.
Ein Bericht des United Nations Development Programme(UNDP) zeigt auf, dass seither nicht viel passiert ist. Südafrika, Sambia, Namibia, Lesotho und Botswana bleiben unter den zehn Ländern mit der weltweit größten Ungleichheit. Einige der Ursachen bestimmen ebenfalls die Art und Weise, wie Politik gemacht wird. Alle Länder betreiben eine dualistische Wirtschaftsstruktur: Auf der einen Seite steht eine Gruppe Staatsbürger, die im formalen Sektor arbeitet, auf der anderen die Mehrheit, die von prekären, unterbezahlten Jobs im informellen Sektor und Subsistenzwirtschaft lebt.
Das Scheitern von Umverteilungsmechanismen innerhalb dieser Länder ist also nicht nur die Folge der Austeritätspolitik, sondern auch des rentenbasierten Aufbaus der Wirtschaft. Das bedeutet, dass sich Infrastruktur und Dienstleistungen für Bildung, Gesundheit, Transport, Wasserzugang und Energie in bestimmten Gegenden konzentriert und kleinen, bessergestellten Gruppen dient. Parteien sind aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verflechtungen nicht geneigt, sich mit Unternehmen und der Wirtschaftselite anzulegen, die das Rückgrat der ökonomischen Aktivitäten bilden.
Die Wichtigkeit der Subsistenzwirtschaft im südlichen Afrika macht Landbesitz zu einem zentralen Thema. Er kann als Wohlfahrtsmechanismus für die armen Schichten der Land- und Stadtbevölkerung dienen. Diese Option fällt jedoch in Ländern wie Namibia, Südafrika, Mauritius und Simbabwe weg, denn dort bleibt Landbesitz in der Hand Weniger und für die Mehrheit unzugänglich. In Südafrika, Namibia und Simbabwe, die früher weiße Siedlerkolonien waren, werden Fragen der Landverteilung entlang ethnischer Gesichtspunkte formuliert, da viel Land im Besitz von Weißen blieb.
Nachdem die Politik der Landenteignung und -umverteilung unter Mugabe als chaotisch wahrgenommen und Simbabwe zum Pariastaat wurde, verhielten sich Südafrikas und Namibias Regierungsparteien deutlich vorsichtiger - dies trotz vehementer Forderungen der Jugend nach Landreformen. In Namibia wird die Regierungspartei SWAPO von der Bewegung Affirmative Repositioning unter Beschuss genommen, weil sie es versäumt hat, für die junge, arme Stadtbevölkerung Landerwerb erschwinglich zu machen.
In Südafrika rufen die Economic Freedom Fighters (EFF), eine Abspaltung des regierenden African National Congress (ANC), nicht nur nach einer fairen Landreform, sondern auch nach einer Nationalisierung der Schlüsselindustrien zur Finanzierung von Umverteilungen. Im Februar 2018 setzten die EFF einen Parlamentsbeschluss zur Landumverteilung ohne Kompensation durch. Cyril Ramaphosa, Südafrikas neuer Präsident, soll die Reform umsetzen. Da er als unternehmensfreundlich gilt, bleiben Zweifel an seinem Willen, Änderungen in einem größeren Maßstab auch tatsächlich durchzuführen.
Widerstand gegen den Wandel
In der Demokratischen Republik Kongo (DRK), Mosambik, Tansania und Sambia werden Rufe laut, die üppigen Einnahmen der wachsenden Rohstoffexporte neu zu verteilen. Sie werden bislang über unregulierte Finanzströme an schlecht funktionierenden Steuersystemen vorbeigeschleust. Durch die unangemessene Einmischung von Denkfabriken, die der Lobby der extraktiven Industrie nahestehen, kann nur eingeschränkt über eine Neuordnung der Besteuerung des Bergbaus hin zu mehr Umverteilung gesprochen werden. In Tansania, Sambia und der DRK hat die Industrie auf Vorschläge zur Erhöhung der Abgaben hysterisch reagiert. Die Erhöhung hätte auch die Mopani-Kupfermine in Sambia, die zu Glencore gehört, oder die Goldminen von Acacia Mining (im Besitz von Barrick Gold) in Tansania betroffen - beides Konzerne, die im Verdacht stehen, Steuern zu hinterziehen. Das schafft eine undemokratische Atmosphäre. Führende Oppositionsparteien wie die United Party for National Development (UPND) in Sambia oder der Chadema in Tansania tragen zur Unterdrückung der Debatte bei. Sie tendieren politisch zur konservativen Rechten und schweigen sich zum Thema soziale Ungleichheit aus.
Die Regierungsparteien wiederum, Chama Cha Mapinduzi in Tansania und Patriotic Front in Sambia, versuchen es mit einem Top-Down-Populismus, um Armutsfragen zu übertünchen. Beide Parteien haben keine wirklich demokratischen Strukturen. Das hat zu einer Politik geführt, die weder Teilhabe fördert noch weit verbreitete Interessen vertritt, sondern sich in Lagerkämpfen zwischen den politischen Eliten erschöpft. In beiden Ländern haben diese Parteien zu repressiven Maßnahmen gegriffen, unter anderem wurden Zeitungen wie die »Post« in Sambia oder die »Mawio« in Tansania zum Schweigen gebracht. Letztere hatte merkwürdige Minenverträge untersucht, in die frühere Parteichefs involviert waren.
Besorgniserregender noch sind die Anzeichen, die in Mosambiks Norden und in der Katanga-Provinz der DRK auf neue Explorationen und Minenvorhaben deuten. Sie könnten in der Gegend einen neuen Bürgerkrieg entfachen. In Mosambik hat die Landnahme für Kohle- und Gasexplorationen den Widerstand der Lokalbevölkerung hervorgerufen, die sich gegen eine Zwangsumsiedlung richtet. Die mosambikanische Polizei hat darauf mit Gewalt geantwortet. Darüber hinaus scheint nach dem Köpfen eines muslimischen Anführers und Niederbrennen von Häusern so etwas wie ein »sprudelnder islamistischer Aufstand«, wie es der »Economist« nannte, die Proteste zu begleiten. Das Auftauchen von Erik Prince in Mosambik, einem berüchtigten Vertragspartner der privaten Sicherheitsfirma Blackwater, der sich in Irak an Kriegsverbrechen beteiligt hat und nun seine Dienste zur Eindämmung der Unruhen im Norden anbietet, kann nur mit großer Sorge aufgenommen werden. Die »Versicherheitlichung« des Umgangs mit Unruhen, die im Zusammenhang mit Landnahme, Armut und Ungleichheit stehen, könnte damit voranschreiten.
Spannungen bestimmen auch die Atmosphäre in der DRK. Die Auflösung des politischen Bündnisses zwischen Präsident Joseph Kabila und Moïse Katumbi Chapwe, dem früheren Gouverneur der Katanga-Provinz und nunmehr Konkurrent für die Präsidentschaft, birgt große Risiken für die Zukunft. Kabila hatte sich lange geweigert, sein Amt aufzugeben. Er willigte schließlich ein, den Weg für Wahlen frei zu machen, denn er wird von mehreren Seiten gleichzeitig angefeindet: wegen der wachsenden Armut und Unsicherheit in verschiedenen Teilen des Landes sowie vonseiten der multinationalen Bergbauunternehmen, die sich gegen höhere Abgaben auf Rohstoffexporte wie die von Kobalt sperren. In der DRK befinden sich geschätzte 70 Prozent der weltweiten Kobaltreserven. Einige dieser Konflikte spiegeln die geopolitischen Kämpfe für Rohstoffe wider: China versucht im Bergbau der Region Fuß zu fassen, der seit Jahrzehnten von euro-amerikanischen Unternehmen dominiert wird.
Eine breitere Perspektive
Eine Politik, die sich auf die Landnutzung für kommerzielle Agrarwirtschaft und Minen fokussiert, also rein wirtschaftlich orientiert ist, unterhöhlt eine konstruktive Debatte über Umverteilung in der Weltregion mit der größten Ungleichheit. Besorgniserregend sind ebenfalls die Oppositionsparteien. Südafrikas Democratic Alliance, Tansanias Chadema, und Sambias UPND bieten kaum Alternativen und positionieren sich gar weiter rechts als die Regierungsparteien. Das bisherige Augenmerk auf Wahlen ist nicht genug, um den in den 1990er-Jahren angestoßenen Demokratisierungsprozess voranzubringen. Gebraucht wir deine Wende hin zu einem Wirtschaftsmodell, das Teilnahme ermöglicht, sowie der Wille zu mehr Umverteilung. Dies würde, wie anderswo in der Welt auch, einen Ausbau des Staates, progressive Besteuerung, die Bekämpfung systematischer Steuerflucht durch Unternehmen, die faire Verteilung von Land sowie den Zugang zu Dienstleistungen erfordern. Besonders die Jugend hat viel dabei zu gewinnen, wachsende Ungleichheiten anzuprangern, denn sie leidet am meisten unter der gegenwärtigen Ausgestaltung der Wirtschaft.
Aus dem Englischen von Yann Wernert.
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