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Endspiel um die Demokratie

Der brasilianische Wahlkampf ist begleitet von Übergriffen / Linke macht für Haddad mobil

  • Caren Miesenberger
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Hakenkreuz prangt auf dem Rücken einer Frau, tellergroß, blutverschmiert. Es ist kein freiwillig gestochenes Tattoo einer Rechten. Das Neonazisymbol wurde mit einem Taschenmesser tief in ihre Haut eingeritzt. Die Frau aus dem südbrasilianischen Porto Alegre ist eines der Opfer politisch motivierter Angriffe, die während des aktuellen Wahlkampfes um die Präsidentschaft des größten Staates Südamerikas von Rechten verübt wurden.

Am 7. Oktober gewann der Faschist Jair Bolsonaro von der ultrarechten Partido Social Liberal (PSL) die erste Runde der Wahlen gegen seinen Gegner Fernando Haddad von der sozialdemokratischen Arbeiterpartei PT mit 46 Prozent der Wahlstimmen. Am 28. Oktober findet die Stichwahl um das Präsidentenamt statt. Das politische Klima spitzt sich auch fernab der Parlamente zu. Mehr als fünfzig politisch motivierte Angriffe durch Wähler Bolsonaros zählte die investigativjournalistische Agentur »Agência Pública« innerhalb der vergangenen zwei Wochen.

Die Frau, der das Hakenkreuz in die Haut geritzt wurde, will aus Angst vor weiteren Angriffen anonym bleiben. Doch das Foto ihres massakrierten Rückens verbreitete sich rasend schnell über die sozialen Medien. Der im dem Fall zuständige Polizeichef sagte gegenüber »BBC News Brasil«, dass das Hakenkreuz kein neonazistisches Symbol sei, sondern ein »buddhistisches Zeichen«, das für Liebe und Brüderlichkeit stehe. Der Grund für den Angriff war allerdings: Die Frau trug am Tag nach der ersten Wahlrunde in Brasilien ein T-Shirt mit einem Regenbogen - Symbol der LGBT-Bewegung - und der Aufschrift »Ele não«, zu deutsch: Er nicht.

Der Slogan »Ele não« wurde kürzlich zum Motto aller, die einen Wahlsieg Bolsonaros verhindern wollen. Zehntausende gingen landesweit gegen den Rechtsruck und für die Demokratie auf die Straße. Denn Bolsonaro macht mit Hassparolen gegen Minderheiten mobil. Er sagte, dass er sich eher wünsche, dass sein Sohn bei einem Unfall stirbt, als dass er schwul sei. Dass er Abtreibung gemäß der aktuellen Gesetzgebung niemals legalisieren würde und dass seine Kinder sich nicht mit Schwarzen einlassen würden, weil sie dafür zu gut erzogen seien. Zu einer Politikerin meinte er, dass sie es nicht wert sei, vergewaltigt zu werden.

Der Ex-Militär aus Rio de Janeiro blickt nostalgisch auf die Zeit der Militärdiktatur von 1964 bis 1985 zurück. Falls er Präsident wird, will er politische Ämter mit Militärs besetzen. Ein Bruch in der brasilianischen Politik, deren höchste Vertreter sich bislang vehement von diesem gewalttätigen Kapitel der Geschichte ihres Landes abgrenzen. Die Chancen, dass Bolsonaro auch die Stichwahl am übernächsten Sonntag für sich entscheidet und dann Präsident der fünftgrößten Demokratie der Welt wird, stehen gut.

Politisch motivierte Angriffe ausgehend von Anhängern Bolsonaros treffen neben Frauen und queeren Menschen auch Schwarze. Moa do Katendê, Capoeira-Meister in Bahia, wurde getötet, nachdem er seine Unterstützung für Haddad bekundet hatte. Der 63-Jährige Katendê war aktiv in der antirassistischen Arbeit, praktizierte die afrobrasilianische Sportart Capoeira und verbrachte den Abend der ersten Wahlrunde in einer Bar in Salvador da Bahia. Dort diskutierte er mit einem Anhänger Bolsonaros. Dieser ging nach dem Streit nach Hause, holte ein Messer und kam zurück in die Bar. Katendê, der mit bürgerlichem Namen Romualdo Rosário da Costa hieß, saß am Tresen, als sein Mörder ihm zwölf Mal in den Rücken stach. Er starb noch vor Ort.

Angesichts der bevorstehenden Stichwahl wird nun selbst innerhalb radikaler linker Kreise für Haddad von der Arbeiterpartei mobil gemacht, obwohl die PT als umstritten gilt. Befürchtet wird, dass Bolsonaro die Demokratie ganz abschaffen könnte. Dann wären solche, auch tödlichen Angriffe nicht nur die Ausnahme, sondern quasi staatlich legitimiert.

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