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- Fußball im Iran
Kann denn Jubeln Sünde sein?
Nachdem Frauen endlich einem Fußballländerspiel der Männer im Stadion zusehen durften, ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft
Zum ersten Mal nach mehr als drei Jahrzehnten haben Frauen ein Länderspiel der iranischen Fußballnationalmannschaft der Männer im Stadion verfolgen dürfen. Die Freude darüber hielt aber nicht einmal 24 Stunden an. Obwohl die wenigen Zuschauerinnen von den Behörden zuvor ausgewählt worden waren, beschwerte sich die Staatsanwaltschaft später über ihren Zugang ins Teheraner Asadi-Stadion. »Es handelt sich um eine Sünde«, sagte Generalstaatsanwalt Mohamed Dschafar Montaseri am Mittwoch.
Diese »Sünde« bestehe darin, dass Frauen »halbnackte Männer« zu sehen bekommen - und dies sei laut Islam nicht erlaubt. Daher seien Ermittlungen eingeleitet worden. Beim nächsten Mal werden zudem konsequent eingegriffen, so Montaseri gegenüber der halbstaatlichen iranischen Nachrichtenagentur Mehr.
Seine Argumentation für ein Verbot ist neu. Der erzkonservative Klerus hatte bis jetzt die Ansicht vertreten, dass Muslima nichts in der Nähe von frenetischen männlichen Fans zu suchen hätten, die möglicherweise vulgäre Slogans von sich geben. Bemühungen des iranischen Fußballverbandes und sogar von Präsident Hassan Ruhani, diesen Standpunkt zu ändern, hatten bislang wenig Erfolg.
Nach Angaben der Nachrichtenagentur Isna waren beim Spiel gegen Bolivien etwa 100 Frauen im Stadion. Unter ihnen seien Angehörige der Spieler, weibliche Angestellte des Verbandes und Mitglieder der Frauen-Nationalmannschaft gewesen. Ihnen wurde eine Tribüne neben dem VIP-Bereich zugewiesen. Dort waren auch etwa ein Dutzend Polizistinnen stationiert worden, damit die Besucherinnen nicht von männlichen Fans belästigt werden können.
Fotografen vor Ort berichteten, dass die Frauen zunächst mehr mit Selfies beschäftigt waren als mit dem Spiel. Danach sorgten sie aber mit »Iran! Iran!«-Rufen für viel Stimmung - weitaus mehr als die 12 000 männlichen Zuschauer beim eher bedeutungslosen und langweiligen Spiel, das die Gastgeber 2:1 gewannen.
»Die Anfeuerungen der Frauen waren sehr interessant«, sagte Irans portugiesischer Nationaltrainer Carlos Quiroz. Für ihn könne dies »der Beginn einer neuen Ära« im Iran werden, die er sehr begrüße. Der gleichen Meinung ist offenbar auch Nationalspieler Hossein Mahini. »Hoffentlich gehört euch Frauen bald die Hälfte des Asadi-Stadions«, twitterte der derzeit verletzte Außenverteidiger. Die Arena bietet 100 000 Zuschauern Platz.
Auch in den nationalen Medien fand die Anwesenheit der Frauen ein positives Echo. »Ein Schritt nach vorn«, lautete die Schlagzeile auf der Titelseite der renommierten Tageszeitung »Etemad«. Die Medien kritisierten aber, dass vielen weiblichen Fans der Zugang verweigert worden war. Auf Twitter beschwerten sich daher auch Dutzende junger Frauen, dass sie nicht hineindurften, obwohl es auf der Frauentribüne ausreichend freie Sitze gegeben hatte.
Während der WM in Russland durften Frauen für die Spiele Irans erstmals seit 1981 ins Asadi-Stadion - zum Public Viewing. Für viele im Land ist ein Stadionverbot im 21. Jahrhundert nicht mehr tragbar - aber der Klerus beharrt darauf. dpa/nd
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