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  • Islamische Terrorkämpfer

Deutsche IS-Gefangene mit unklarer Zukunft

35 Bürger unter Aufsicht der Kurden / Berlin verweigert Rücknahme

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Terrororganisation »Islamischer Staat« (IS) verliert in Syrien immer mehr an Boden, direkte Kontrolle hat sie nur noch über die am Euphrat gelegene Kleinstadt Hajin sowie einige umliegende Dörfer. Gebannt ist die Gefahr damit nicht. Sicherheitskräfte der Demokratischen Föderation Nordsyriens, bekannt unter dem kurdischen Namen Rojava, heben regelmäßig Schläferzellen untergetauchter Islamisten aus. Mitte Oktober berichtete die syrisch-kurdische Miliz YPG von drei ausländischen IS-Anhängern, die man bei solch einer Operation festgenommen habe. Zwei von ihnen sollen aus Deutschland stammen. Der deutsche Staatsbürger Dirk Richard P. habe für den IS als Arzt Prothesen hergestellt, sei aber auch »an Kriegsverbrechen beteiligt« gewesen. Bei dem anderen soll es sich um den in Deutschland geborenen türkischen Staatsbürger Ergün O. handeln, der in Dscharābulus und Rakka für den IS gearbeitet habe. Was nun mit den beiden Häftlingen passiert, ist unklar - die Bundesregierung will sie offenbar nicht zurückhaben.

Für die lokalen Verwaltungsstrukturen stellen die festgenommenen ausländischen IS-Anhänger eine Belastung dar. »Unsere Region ist instabil, Chaos ist immer möglich und die IS-Kämpfer könnten in der Folge fliehen«, erklärte Abdulkarim Omar, der Ko-Vorsitzende des Rates für auswärtige Angelegenheiten des nordsyrischen Kantons Jazira, in einer Stellungnahme. Nach den jüngsten Angaben des Politikers gegenüber der kurdischen Nachrichtenagentur »Firatnews« befänden sich derzeit knapp 800 IS-Kämpfer aus 46 verschiedenen Ländern im Gewahrsam des kurdisch geführten Militärbündnisses Syrisch-Demokratische Kräfte. Dazu würden sich 584 Frauen und 1248 Kinder der Kämpfer in separaten Camps aufhalten. »Jedes Land muss seine eigenen Bürger vor Gericht stellen, oder sie müssen vor einem internationalen Gericht angeklagt werden«, sagte Omar weiter. »Wenn die internationalen Institutionen ihrer Verantwortung nicht nachkommen, müssen wir selbst eine Entscheidung treffen.« Bisher hätten nur Russland, Indonesien, Saudi-Arabien und die USA einige Staatsbürger zurückgenommen. Mit weiteren Ländern sei man in Kontakt.

Die Bundesregierung weigert sich offenbar, zuvor aus Deutschland eingereiste IS-Kämpfer zurückzunehmen. Betreffen würde es mehrere Dutzend Personen: In einem »nd« vorliegenden Brief von Ende September berichtet Omar gegenüber der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Linkspartei), dass sich 33 Menschen aus Deutschland unter Aufsicht der kurdisch-arabischen Kräfte befänden. Unter ihnen seien acht inhaftierte IS-Kämpfer, zehn Frauen und fünfzehn Kinder. Mit den jüngst festgenommenen Unterstützern Dirk Richard P. und Ergün O. liegt die aktuelle Zahl damit bei 35 Deutschen. In dem Brief an Jelpke erklärte Omar: »Wir drücken unsere Bereitschaft aus, die deutschen Bürger der Bundesregierung zu übergeben. Bisher hat diese uns aber bezüglich dieses Themas nicht kontaktiert.«

Auf Nachfrage erklärte das Auswärtige Amt gegenüber »nd«: »In Syrien ist eine konsularische Betreuung nach Schließung der Botschaft in Damaskus und aufgrund der weiterhin schwierigen Sicherheitslage faktisch nicht möglich.« Man habe zwar Kenntnis von Fällen deutscher Staatsangehöriger, die sich in Nord-Syrien in Gewahrsam befinden sollen. »Eigene Erkenntnisse liegen dem Auswärtigen Amt dazu aber nicht vor.« In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion führte die Bundesregierung Ende August jedoch aus: »Grundsätzlich haben alle deutschen Staatsbürger und so auch diejenigen, die in Verdacht stehen, für den IS gekämpft zu haben, das Recht auf eine Rückkehr nach Deutschland. Sie müssen sich hier vor der deutschen Strafjustiz verantworten.«

Jelpke forderte nun die Bundesregierung auf, Verantwortung zu übernehmen. »Die Rojava-Selbstverwaltung hat deutlich erklärt, dass sie die sichere Verwahrung der ausländischen Terroristen nicht länger garantieren kann und diese auch nicht in Syrien vor Gericht stellen wird«, sagte die Abgeordnete gegenüber »nd«. »Die Bundesregierung darf daher nicht mehr länger auf Zeit spielen. Sie steht in der Verantwortung, die deutschen IS-Angehörigen und deren Familien zurückzuholen und hier für ihre Verbrechen vor Gericht zu stellen.« Dass in Syrien derzeit keine diplomatische Betreuung möglich sei, hält die Politikerin für vorgeschoben. »In Wahrheit scheut sich die Bundesregierung offenbar aus Rücksichtnahme auf die Türkei vor offiziellen Kontakten mit den Behörden in Rojava.«

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