Lieber spät als nie

Ein Beispiel für gelungene Wiedergutmachung

  • Guido Sprügel
  • Lesedauer: 3 Min.

Mama, warum ist diese Stiftung erst so spät ins Leben gerufen worden?‹ Auf diese Frage meines erwachsenen Sohnes konnte ich keine wirkliche Antwort geben«, berichtet Carola Veit (SPD), Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft sichtlich bewegt in ihrer Rede zum kleinen Festakt anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte im Rathaus der Hansestadt. Auch die anderen Redner betonen, wie viele Jahre zu spät diese Stiftung eigentlich ins Leben gerufen wurde. Sie versichern aber auch, wie wichtig die Gründung trotzdem war.

Als die Stiftung vom sozialliberalen Hamburger Senat im April 1988 beschlossen wurde, lag das Ende der NS-Diktatur bereits 43 Jahre zurück. Natürlich hatte es zuvor schon Wiedergutmachungsleistungen für die Verfolgten des NS-Regimes gegeben. Zunächst sehr zögerlich und, bedingt durch die ungebrochene Kontinuität von faschistischen Beamten in der Verwaltung und Justiz, oft mit vielen Hindernissen. Der Personenkreis der Anspruchsberechtigten war beschränkt auf politisch, weltanschaulich, religiös oder rassisch Verfolgte. Das Schicksal der Sinti und Roma, der Swing-Jugend, der rund 400 000 Zwangssterilisierten, der Homosexuellen, arbeitslosen oder wohnungslosen Menschen, der Behinderten, der sogenannten »Tunichtgute und Schmarotzer« oder »Gemeinschaftsfremden« interessierte niemanden. Im Gegenteil.

Im Westdeutschland der 1950er und 60er Jahre blieben viele gesetzliche Verfolgungsinstrumente aus der NS-Zeit bestehen, der Blick auf die »Asozialen«, »Behinderten« und »sittlich Verfallenen« hatte sich seit Kriegsende nicht wesentlich geändert. »Diese Opfergruppen trafen bei ihren Bemühungen um Entschädigung oder Unterstützung oftmals auf ihre Verfolger von einst, die immer noch bei der Polizei oder der Sozialverwaltung tätig waren«, informierte Stefan Romey, Mitbegründer und Vorsitzender der Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte sowie Buchautor. Er erinnerte an die Bemühungen um eine Stiftung in den 1980er Jahren: »Es ergab sich in diesen Jahren in Hamburg - so muss man es wirklich sagen - ein richtiger Zeitpunkt im richtigen Umfeld. Und auf einmal erschien eine Stiftung für die Anerkennung und Entschädigung bislang vergessener Opfergruppen der NS-Zeit in greifbare Nähe zu rücken.« Bis dahin habe es in Westdeutschland keinerlei vergleichbare Einrichtung wie die Stiftung gegeben, für die sich auch prominente Hamburger wie Klaus von Dohnanyi und Henning Voscherau einsetzten. »Seitdem konnten wir in rund 2000 Fällen durch eine relativ unbürokratische Antragsstellung mit einmaligen oder laufenden Beihilfen helfen«, so Romey. Aktuell unterstützt die Stiftung noch 100 Überlebende des Naziterrors bzw. Nachkommen. Wenn die Stiftung nicht mehr nötig ist, bleiben rund 2000 Akten, die auch in Zukunft an die Verfolgung im Dritten Reich erinnern werden.

Stefan Romey: Niemand ist vergessen. 30 Jahre Hamburger Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte. 360 S., geb., kostenlos (gegen Porto) erhältlich bei der Hamburger Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte, Max-Brauer-Allee 40, 22765 Hamburg.

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