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Eine Vision für Mietkämpfe
Das Konzept einer Mietergewerkschaft verbindet immer mehr Linke
In der Eckerstraße 7 in Hannover hat es kürzlich wieder einmal geklappt. Ein »Kiezkollektiv« konnte die Zwangsräumung eines älteren Ehepaars verhindern. Weil die beiden Buchhändler 1350 Euro Miete schuldig gewesen waren, war schon die Polizei angerückt. In Windeseile sammelten die Aktivisten das geforderte Geld bei Freunden und Nachbarn ein. Die Räumung wurde ausgesetzt - vorerst. Doch wie können langfristig Häuser von denen gesichert werden, die darin wohnen?
An Protest gegen Mieterhöhungen, Spekulation oder Leerstand mangelt es nicht. Neben Kiezkollektiven sind die für diesen Samstag angekündigte »Mietenwahnsinn Stoppen«-Demonstration in Frankfurt am Main und Hausbesetzungen wie kürzlich in Berlin-Moabit nur zwei Beispiele für unzählige Kämpfe.
Doch Besetzungen werden oft nach wenigen Stunden geräumt, und Betroffene schlagen sich noch Jahre mit Repressionen herum. Basisinitiativen schlafen oft wieder ein - gerade nach Erfolgen, wenn der unmittelbare Anlass für den Protest verschwunden ist. Und Ehrenamtliche brennen irgendwann aus, spätestens für das vierte Bündnistreffen in einer Woche hat keiner mehr Kapazitäten.
Ein weiteres Problem erklärt Andrej Holm, Experte für Gentrifizierung von der Berliner Humboldt Universität gegenüber »nd«: »Die vielen organisierten Hausgemeinschaften etwa in Berlin stehen für einen Protest, der verstärkt auf das kollektive Handeln setzt. Doch dafür gibt es zurzeit keine übergreifende Interessenvertretung«. Dafür gibt es doch Mietervereine, sagen dann manche. »Die traditionellen Mieterverbände sind im Kern Mietrechtsorganisationen, die bisher nicht auf die neuen Form der Mietermobilisierung in Hausgemeinschaften eingestellt sind«, so Holm. Sie sind zwar finanzstärker als Kiezgruppen, und sie leisten die für viele wichtige Einzelfallberatung. Dass sie eher brav als politisch handeln, liegt auch daran, dass das in Deutschland bestehende Mietrecht nur von Einzelnen in Anspruch genommen werden kann. »Das Mietrecht stößt an seine Grenzen«, sagt auch Holm.
Und da liegt der Knackpunkt, sind viele sich einig. Etwa die Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe (SPD) forderte dieses Frühjahr die Möglichkeit einer Sammelklage und vor allem: ein Streikrecht für Mieter. »Denn wenn kein Geld mehr fließt, sind Vermieter schnell bereit, sich auf Augenhöhe mit den Mietenden an einen Tisch zu setzen«, schreibt sie in einem Zeitungskommentar. Die bei einem Streik verweigerte Miete solle auf das Konto einer Mietergewerkschaft gezahlt werden, die während der Verhandlungen mit Know-How und finanzieller Unterstützung an der Seite der Mitglieder stehen solle, damit diese »nicht über den Tisch gezogen« werden, so Kiziltepe. Darüber hinaus könnten Mitgliedsbeiträge für das nötige Polster sorgen, um die mit einem Streik verbundenen Risiken aufzufangen.
In anderen Ländern funktioniert das durchaus, so bei der italienischen »Assoxiazioni Inquilini e Abitante«, die mittlerweile ein ganzes Hochhaus verwaltet, in dem unter anderen Geflüchtete leben, die in der Wirtschaftskrise ihre Wohnungen verloren hatten. Andere Beispiele sind das spanische »Sindicat de Llogaters« oder die Basisgewerkschaft »ACORN« in Großbritannien. Auch in deutschen Städten gab es früher häufig Mietstreiks, zumindest wilde. So berichtet die Zeitung kommunistische »Rote Fahne« in den 1920er Jahren über Mietstreiks etwa durch Arbeiterfrauen, deren Männer nicht aus dem Krieg zurückgekehrt waren. Dass Gewerkschaften hilfreich sind, um langfristige gesellschaftliche Errungenschaften zu erstreiten, zeigt sich besonders in Schweden. Dort ist dank der 100-Jahre alten Mietergewerkschaft kollektives Mietrecht schon lange gesetzlich verankert.
Hierzulande beschäftigt die Idee derzeit etwa eine Gruppe, die aus der Berliner Mietergemeinschaft kommt, sowie den Verein AmMa65 aus dem Berliner Bezirk Wedding und Teile der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAU Berlin. Zu letzterer gehört auch der Sozialwissenschaftler Holger Marcks. In seinen Augen könnte eine derartige Gewerkschaft sowohl auf ein Streik- als auch auf ein Tarif- und Mitbestimmungsrecht abzielen. »Ein Tarifrecht würde dafür sorgen, dass die Mietpreise nicht mehr über den Markt bestimmt werden, sondern eben über ein Tarifsystem, das zwischen Gewerkschaften und Eigentümern ausgehandelt wird, notfalls auch im Konflikt«, sagt Marcks im Gespräch mit »nd«. Er zieht den Vergleich zur Arbeitswelt. So wie es in Unternehmen einen Betriebsrat gebe, sollten Mietende durch Häuserräte mitbestimmen, meint Marcks. Diese Ansicht vertritt auch die LINKE Berlin, die »Mieterräte und Mieterbeiräte« für »ein wichtiges Instrument« hält, wie es in einem Beschluss des Landesverbandes von 2017 heißt.
Über Wohnfragen hinaus könnte eine Gewerkschaft von Mietern der Linken zu neuer Bodenhaftung verhelfen, hofft Marcks. Sie würde ein Angebot für Menschen schaffen, denen die von der betrieblichen Organisation in DGB-Gewerkschaften eher ausgeschlossen sind. Etwa diejenigen, die hauptsächlich Hausarbeit und Kindererziehung leisten, insbesondere Frauen. Auch arbeitslose und ältere Menschen sowie die wachsende Zahl derer, die Home Office betreiben, hätten so die Möglichkeit, sich zu organisieren.
»Auf den ersten Blick scheint der Verknüpfung von Arbeiternehmer- und Mieterinteressen - also Produktion und Reproduktion - etwas Faszinierendes und Fortschrittliches innezuwohnen«, sagt sogar der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins Reiner Wild gegenüber »nd«. Bei allem Zuspruch sieht er aber auch eine Gefahr: »Im Hinblick auf den Mieterschutz könnte es sogar eine Schwächung werden. Denn wenn die ›Tarifpartner‹ aus Vermieterverbänden und Mietergewerkschaften über Miethöhen verhandeln, könnte die staatliche Verantwortung für leistbares Wohnen geringer werden«, so Wild. Er befürchtet, dass dabei »die Rechte von Mietern im versprengten Einzeleigentum auf der Strecke bleiben«, will seine Äußerungen aber nicht als abschließend verstanden wissen.
Derweil stören zwei Gruppen sich an dem Begriff »Gewerkschaft«. Zum einen beansprucht man diesen in DGB-Kreisen ausschließlich für Arbeitnehmerorganisationen. Rechtlich gesehen dürfen sich dank der Koalitionsfreiheit aus Artikel 9 des Grundgesetzes Deutsche für jegliche Interessen zusammenschließen. Auf die Anfrage des »nd« zum Thema wollte der DGB sich nicht offiziell äußern. »Die zweite Gruppe, die mit dem Konzept Gewerkschaft bisher wenig anfangen kann, sind bisher Bewegungslinke«, meint Marcks. »Für sie ist Gewerkschaft wegen der Innovationsfeindlichkeit des DGB und dessen ignorantem Umgang mit derartigen Vorschlägen von der Basis verbrannt«, meint er. Statt dieser »typisch deutschen Begriffsmeierei« hielte Marcks angesichts des großen Interesses ein Planungskomitee für sinnvoll, mit fitten Leuten aus Basisinitiativen, Mietervereinen und Gewerkschaften. Bei der Mietergewerkschaft ACORN in Bristol hat es von diesem Punkt an ganze vier Jahre gedauert, bis sie mit Konzept, Programm und Strategie an die Öffentlichkeit getreten ist.
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