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- Flüchtlinge in Brandenburg
Hässlich willkommen
Junge Flüchtlinge berichten im Potsdamer Landtagsschloss über positive und negative Erfahrungen in Brandenburg
Vor dem syrischen Flüchtling Abdul baute sich in Ludwigsfelde einmal ein junger Mann auf. »Was hast du hier zu suchen? Verpiss' dich. Geh’ zurück in dein Land, das braucht dich. Wir brauchen dich hier nicht.« Abdul schüttelt noch heute den Kopf, wenn er daran denkt. »Ich hätte ihn schlagen können«, sagt er. Aber Abdul tat das damals nicht. Er erklärte stattdessen, dass er hier in der Freiheit leben wolle, die er in seiner Heimat nicht gefunden habe. Wie sein Gegenüber reagierte? »Er hat mir eine Kippe gegeben. Heute kommt er regelmäßig zu mir und ist mein bester Freund geworden.«
Abdul erzählt diese Geschichte im Potsdamer Landtag, als sich dort junge Flüchtlinge über die »Überlebenswirklichkeiten« austauschen. Geboren in Homs und aufgewachsen in Damaskus, hat Abdul für sich in Syrien keine Perspektive mehr gesehen. Als er in Potsdam nachts auf dem Bahnhof steht, ruft er aus Ratlosigkeit die Polizei an. »Sie waren sehr nett und brachten uns in die Flüchtlingsunterkunft.« Dort trifft er eine Frau, die ihm und seiner Schwester eine Wohnung besorgt und ihnen hilft, wo sie kann. Abdul macht nun noch einmal sein Abitur, diesmal an einer deutschen Schule, hat eine Lehrerin, die ihn unterstützt. Er machte aber auch negative Erfahrungen. Als er sich für einen Deutschkurs anmelden will und dabei Englisch spricht, fährt ihn die Sachbearbeiterin an: »Wir sind in Deutschland, hier wird Deutsch gesprochen.« Um Deutsch zu lernen, steht er ja vor ihr. Sie hat ihn aber nicht verstanden. »Das war lustig«, sagt Abdul. »Aber es hat mich echt geärgert.«
Dass junge Flüchtlinge auch selbst aktiv werden müssen, sagt Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD) in ihrem Grußwort an die vom Landesjugendring organisierte Veranstaltung. Es gebe auch Deutsche, die in schwierigen sozialen Verhältnissen leben und von der Politik enttäuscht seien, sagt sie den jungen Leuten aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Tschetschenien und anderen Ländern. Es gehe darum, mit allen Menschen, die hier leben, eine solidarische Gesellschaft zu gestalten. Für junge Flüchtlinge sei es bestimmt nicht einfach, räumte Britta Stark ein. Erst recht nicht, wenn der Aufenthaltsstatus unsicher sei und auch nicht klar sei, ob die Eltern nachkommen dürfen.
Und dann die vielen Fallstricke. Dürfen minderjährige Flüchtlinge, die in einer Pflegefamilie zu leben, ehrlich sagen, dass sie das Käsefondue eklig finden? Ein Afghane erinnert sich, dass er, wenn deutsche Jugendliche lachten, immer dachte, dass sie über ihn lachen. Heute wisse er, dass dies gar nicht so gewesen sei. Beim Fußball fand er Anschluss. Wenn die Mitspieler »Foul«, »Ecke« oder »Hand« riefen, habe er das erste Mal verstanden, was sie meinten. Eine Afghanin schildert, wie wichtig es für sie gewesen sei, gleich in einer normalen deutschen Klasse zu sitzen und die Mitschüler zu beobachten, auch wenn sie zunächst kein Wort verstanden habe. Die Sprache sei das A und O, sind sich alle einig und zeigten kein Verständnis für Flüchtlinge, die nur nachlässig Deutsch lernen. Beim Deutschkurs gebe es auch lustige Momente. Man bedenke nur, wie ähnlich »herzlich willkommen« und »hässlich willkommen« klinge.
Mohammed Jouni kam selbst als Flüchtling aus Libanon nach Deutschland und arbeitet heute im Bundesfachverband für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Er wirbt dafür, diese Minderjährigen nicht ausschließlich als Opfer anzusehen und zu behandeln. Sie hätten auch Leistung aufzuweisen, hätten »unheimlich viele Kompetenzen«. Ohne ein hohes Maß an individuellen Schutzmechanismen, Selbstbehauptungsstrategien und Anpassungsfähigkeit hätten sie es unter keinen Umständen nach Deutschland geschafft. Zweckmäßig sei es, möglichst viel voneinander zu wissen. Betreuer seien enttäuscht und verärgert, wenn ihre Schützlinge die Lehre oder die Schule abbrechen. Aber viele Jugendliche bekamen von ihren Eltern und Verwandten den Auftrag, möglichst rasch Geld zu verdienen und es nach Hause zu schicken. »Man muss es nicht akzeptieren, aber man sollte es wissen«, sagt Jouni. Er fragt: »Was haben Pippi Langstrumpf und junge Flüchtlinge gemeinsam?« Antwort: Sie sind weit gereist, die Eltern sind nicht präsent, sie bringen Erwachsene an ihre Grenzen und sie brauchen manchmal deren Hilfe.
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