Freiwillige vor?

Die Politik verpflichtet Unternehmen immer seltener, bestimmte Dinge zu tun. Neuestes Beispiel ist Ministerin Klöckners Vorschlag für gesünderes Industrieessen

  • Roberto De Lapuente
  • Lesedauer: 4 Min.

Zu hohe Anteile von Salz, Zucker und Fett machen modernes Industrieessen ungesund. Man muss kein Ernährungsexperte sein, um das wissen zu können. Man müsste jedoch eine Ernährungsministerin sein, um daran etwas ändern zu können. Julia Klöckner (CDU) leitet dieses Ressort und hat neulich damit kokettiert, dass sie etwas dagegen machen möchte, denn eine Reduzierung sei unbedingt notwendig. Daher ihr Vorschlag: Die Genüsse aus dem Tiefkühlfach, Pizza zum Beispiel, sollten in kleineren Portionen gefertigt werden. Wenn der Fladen um 40 Prozent kleiner ist, so die kühne Rechnung, dann reduziert man damit auch die genannten Komponenten um 40 Prozent. Und schon leben alle zufriedener und gesünder bis an ihr Lebensende.

Natürlich klappt dergleichen nur im Märchen, denn wer die TK-Freaks aus den Supermärkten kennt, der weiß, wie sie ticken. Wenn die Ofenfrische oder die Backfrische im Angebot ist, packen sie sich gleich mal einen Stapel Teiglinge in den Einkaufswagen. Das ist ja das Prinzip der schnellen Nummer aus dem Tiefkühlfach: Man kann es vorrätig haben und nach Bedarf aufbacken. Wenn die Dinger nun kleiner würden, dann hätte man im Tiefkühler auch mehr Platz für gelagerte Reserven. Und wenn die erstmal da drin liegen, backt man eben noch eine auf, wenn man nicht satt geworden ist.

Dass auf den kleinen Pizzen auch weiterhin Formpressschinken und Analogkäse verteilt werden darf, steht übrigens außer Frage. Gegen Produkte aus Separatorenfleisch und wasserbindende Verdicker, gegen Imitate aus Trockenmischungen und Geschmacksverstärker, hat keiner was. Da fehlt der Ernährungsministerin die Courage, auch diese Gewürz- und Bindemittelerzeugnisse ins Visier zu nehmen. Es besteht mal wieder kein politisches Interesse diesbezüglich.

Es ist ganz so, wie es schon Metzgermeister Franz-Josef Voll in seinem Fleischreport und Insiderbuch »Schweinebande!« thematisierte. Der behauptet nämlich, dass die Politik der Lebensmittelindustrie jede Sauerei gezielt durchgehen lasse. Die Lebensmittelkontrollen seien außerdem nichts als Nebelkerzen und könnten aufgrund ihrer rein kommunalen Organisation gar nicht effektiv gegen globalisierte Konzerne vorgehen. Er muss es wissen, er war lange Zeit auch Lebensmittelkontrolleur.

Wie ernst es Klöckner nun ist, lässt sich ziemlich leicht eruieren. Ihr Einsatz gegen ungesunde Geschmacksträger, ohnehin eine rein auf Größenminimierung fokussierte Schnapsidee, soll noch nicht mal gesetzlich vereinbart werden. Sie möchte die Lebensmittelkonzerne freiwillig ins Boot holen, sagte sie der Presse. Sie wünsche sich »eine möglichst breite Mitwirkung«. Die Industrie mit gesetzlichen Vorgaben zu behelligen, möchte sie sich lieber sparen. Neu ist das alles nicht, denn die Discount-Kultur im Lande hat mit der fehlenden Bereitschaft zur Regulierung in diesem Sektor zu tun. Billiges an den Mann zu bringen, war nicht einfach nur dem Sparbrötchen-Zeitgeist geschuldet, sondern auch einer Politik, die keine Einwände formulierte, als Schlachtabfälle verwurstet und mit Gewürzen geschmacklich getrimmt wurden.

Überhaupt scheint die Freiwilligkeit immer mehr zur deutschen Obsession zu werden. Politik versteht sich offenbar nicht mehr als Regelmacherin, sondern als konziliante Unternehmensberatung, als freundlicher Gewissensbiss, der auf etwas hinweist, aber keine Konsequenzen exekutiert. Der Ökonom Heiner Flassbeck schreibt zufällig zur Freiwilligkeit im aktuellen »Makroskop«-Magazin, dass man das Scheitern freiwilliger Einsicht auf Deutschlands Autobahnen bestaunen könne. Wer hält sich denn wirklich an eine Richtgeschwindigkeit, die als warme Empfehlung zu betrachten ist? Sein Fazit: »Freiwilligkeit, die große deutsche Lösung bei vielen Fragen, wo es um gesellschaftliche Ziele geht, ist nichts anderes als Konfusion, als ein Missverständnis darüber, wie ein System funktioniert, dessen Mitglieder in einer gewissen Wettbewerbsbeziehung stehen.«

Politik, die sich darauf beschränkt, mit dem Zuruf »Freiwillige vor!« einem gesellschaftlichen Gestaltungsauftrag nachzukommen, gestaltet nur die eigene Ersetzbarkeit und degradiert sich zu einer Public-Relations-Agentur von Wirtschaftsunternehmen. Klöckners Vorschlag ist gerade deshalb besonders lächerlich, weil er als Bemäntelung ihrer eigenen ministeriellen Zahnlosigkeit dient. Eine Politik ohne Gesetzgebung ist wie Formpressschinken: Sieht beinahe wie echt aus, ist aber nichts als Betrug am Kunden.

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