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Mit KZ-Häftlingen Profit gemacht
Dissertation über das KZ-Außenlager Heinkel-Flugzeugwerk in Oranienburg erschienen
»Der Häftlingseinsatz wurde befohlen.« So lautete nach dem Zweiten Weltkrieg vor Gericht die Ausrede der Betriebsleitung. Die SS und das Reichsluftfahrtministerium hätten den Konzern des Flugzeugherstellers Ernst Heinkel demnach gezwungen, im Werk in Oranienburg KZ-Häftlinge einzusetzen. Ob es aber tatsächlich so gewesen ist oder nur vorgeschoben war, konnte Roman Fröhlich in seiner jetzt als Buch publizierten Doktorarbeit nicht mit absoluter Sicherheit aufklären. »Der Häftlingseinsatz wurde befohlen«, lautet der Titel der Dissertation, in der Fröhlich die etwaigen Handlungsspielräume untersucht, die Ernst Heinkel, seine Betriebsdirektoren und andere Beschäftigte sowie die Wachmannschaften beim Einsatz und bei der Behandlung der Häftlinge hatten.
Herausgekommen ist jedoch, dass es dem Konzern um den Profit ging. Wenn brutale SS-Männer aus den Werkshallen ferngehalten wurden, dann deshalb, weil sie die Flugzeugfertigung mit ihren willkürlichen Misshandlungen störten. Zwar empfanden viele Häftlinge das Außenlager etwas angenehmer als andere Lager, da sie hier zum Teil nicht in zugigen Baracken untergebracht waren, sondern in Häusern mit anständigen sanitären Anlagen - mit einem Standard, der ursprünglich für reguläre Beschäftigte geplant war.
Doch nachdem die Häftlinge eingezogen waren, vernachlässigte der Betrieb die Instandhaltung und stopfte immer mehr Menschen hinein, sodass sich die Verhältnisse mit den Jahren verschlechterten. Wenn darum gebeten wurde, die Facharbeiter unter den Häftlingen, die ins Krankenrevier des Lagers Sachsenhausen gebracht wurden, nach ihrer Genesung zurückzuschicken, so erfolgte dies nicht aus Fürsorglichkeit, sondern weil das Werk die Fachkräfte dringend benötigte. In einer Leerlaufphase stieß das Ernst-Heinkel-Werk Oranienburg (HWO) einmal bedenkenlos auf einen Schlag 3000 Facharbeiter ab, um sie der SS nicht bezahlen zu müssen. Es wurde dabei offensichtlich kein Gedanke an die Situation der betroffenen Häftlinge verschwendet, nicht einmal ein Gedanke an die Tatsache, dass man in Kürze wieder qualifizierte Arbeitskräfte benötigen werde.
Es herrschte in der Industrie ein Arbeitskräftemangel, weil immer mehr Männer zur Wehrmacht eingezogen und an die Front geschickt wurden. Sie waren nicht alle durch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter zu ersetzen.
Deshalb fragte das HWO immer wieder aus eigenem Antrieb bei der SS nach Häftlingen, die zunächst in Baukommandos für die Reparatur von Werksstraßen und die Errichtung von Rollfeldern eingesetzt wurden und schließlich zunehmend auch in der Serienfertigung des Bombers He-177 sowie später der Jagdflugzeuge Fw-190 und Do-335.
Es entstand auf dem Betriebsgelände extra ein Außenlager des KZ Sachsenhausen, in das bis zu 9000 Häftlinge gesteckt wurden. Kein anderer privater Betrieb war so früh und so massiv in die rücksichtslose Ausbeutung der Arbeitskraft von KZ-Häftlingen involviert. Das HWO entwickelte sich schnell zu einem Musterbetrieb, in dem interessierten Besuchern aus der Wirtschaft die Einrichtung eines KZ-Werks vorgeführt werden konnte. Anfangs richteten noch Vorarbeiter die Maschinen ein und beaufsichtigten die Häftlinge. Später wurden auch solche Tätigkeiten durch Häftlinge erledigt. Außerdem entstand in Oranienburg für das Ernst-Heinkel-Werk eine Außenstelle im berüchtigten KZ-Außenlager Klinkerwerk. Im Hauptlager Sachsenhausen mussten außerdem besonders geschwächte Häftlinge für Heinkel Nieten sortieren, darunter auch Sprengnieten, auf die mehrere verzweifelte Männer bissen, um sich das Leben zu nehmen und so den Quälereien durch die SS zu entkommen. Sie seien sofort tot gewesen, schilderte ein Augenzeuge solche Fälle.
Es sind nicht die einzigen Menschen, die das HWO auf dem Gewissen hat. Im unvollständigen Totenbuch des KZ Sachsenhausen, in dem 21 900 Namen stehen, ist bei 315 als Ort ihres Todes das Außenlager Heinkel verzeichnet. Wie viele jedoch geschwächt, krank oder wegen Widerstands abtransportiert und anderswo starben beziehungsweise ermordet worden sind, das ist nicht klar. Fest steht lediglich, dass viel mehr als 315 Tote auf das Konto des Außenlagers gehen. Allein 205 Häftlinge starben bei einem Bombenangriff auf das Werk im April 1944.
Solange es ging, wurde die Rüstungsproduktion im HWO mit aller Macht aufrechterhalten. Als alles zusammenbrach, überließ der Konzern das Werksgelände erst stückweise und dann komplett der SS, die dort in Halle 8 Transporte aus den Vernichtungslagern einpferchte. Häftlinge also, deren Ermordung im Osten nicht mehr gelungen war, weil die sowjetischen Truppen nahten. Bevor auch Oranienburg befreit wurde, gab es noch Erschießungen in der alten Spritzkabine des Werks. Außerdem töteten SS-Ärzte mit Giftinjektionen.
Während wenig bis nichts darauf hindeutet, dass die Betriebsleitung das Los der Häftlinge aus humanitären Gründen erleichtert hätte, verhielten sich einige Arbeiter menschlich, behandelten die Häftlinge freundlich oder steckten ihnen sogar Essen zu. Wenn das aufflog, mussten sie die Kluft wechseln, wie ihnen vorher angedroht worden war. Das heißt, sie mussten dann selbst den gestreiften Häftlingsanzug tragen. Aber vereinzelt wagten Wachmänner, Nachrichten an die Familien weiterzuleiten. Auf der anderen Seite gab es Arbeiter und auch Häftlingsvorarbeiter, die Häftlinge ohrfeigten oder schon bei zu langsamem Arbeiten wegen Sabotage anzeigten.
Ernst Heinkel gehörte nicht zu den Industriellen, die bereits vor 1933 die NSDAP mit großzügigen Parteispenden aufpäppelten. Er hatte jedoch beste Kontakte zu Nazigrößen, die ihm dann nach 1933 einträgliche Rüstungsaufträge verschafften. Die Firma wuchs so schnell und investierte so viel, dass sie an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geriet. Es drohte eine Enteignung, der Ernst Heinkel vielleicht auch dadurch entging, dass er so bereitwillig kooperierte und sein Oranienburger Werk in einen KZ-Betrieb umwandelte, während andere Unternehmer mit einer solchen Entscheidung noch zögerten.
Obwohl eine wissenschaftliche Arbeit, ist das Buch über weite Strecken, besonders in der ersten Hälfte, durchaus spannend geschrieben. Die Berichte von zahlreichen Zeitzeugen sind in das Werk eingeflossen. Roman Fröhlich hat zum Beispiel mit dem dänischen Überlebenden Poul Nielsen gesprochen. Unter anderem von Nielsen hat er Auskünfte über die schlimmen Zustände 1945 in Halle 8. »Da waren viele kranke Menschen. Die lagen herum und haben gestöhnt«, sagte Nielsen aus. Doktorvater von Fröhlich war Professor Günter Morsch, der erst vor einigen Monaten seinen Posten als Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und Leiter der Gedenkstätte Sachsenhausen abgab und in den Ruhestand trat.
Roman Fröhlich: Der Häftlingseinsatz wurde befohlen. Metropol-Verlag, 465 Seiten, 24 Euro
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