Irreführende Zahlen der Überwacher

Das Pilotprojekt zum Test von Gesichtserkennungssystemen am Berliner Bahnhof Südkreuz würde zu viele Fehlalarmen führen

  • Julian Seeberger
  • Lesedauer: 2 Min.

Ganze 99,3 Prozent Fehlalarme drohen, wenn das System zum Einsatz käme - und selbst das seien »bessere Werte, als man sie in Realität je erreichen« könne. Zu diesem Schluss kommen renommierte Statistiker mit Blick auf das Pilotprojekt zum Test von Gesichtserkennungssystemen am Berliner Bahnhof Südkreuz.

Bundesinnenminister Seehofer (CSU) hatte sich Mitte Oktober noch begeistert gezeigt: »Die Systeme haben sich in beeindruckender Weise bewährt«, meinte er. Dabei geht die Bedeutung der Erprobung weit über die Hauptstadt hinaus: Am Ende könnte die Überwachung sämtlicher Bahnhöfe der Republik stehen, ausgewertet von Identifikationssoftware. Ein »breite Einführung« sei nun möglich, so der Minister, da in der Probephase 80 Prozent der Testpersonen korrekt erkannt worden seien, wohingegen die Fehlalarmrate unter 0,1 Prozent liege.

Die Professoren Gerd Gigerenzer (Max-Planck-Institut Berlin), Walter Krämer (TU Dortmund) und Thomas K. Bauer (Vizepräsident des Leibniz-Instituts RWI) interpretieren diese Zahlen in einer Veröffentlichung vom Dienstag ganz anders: Sie seien keineswegs Anlass für Optimismus. Vielmehr führten sie in die Irre, und den Bürgern drohten große Unannehmlichkeiten. »Das Problem bei Massenüberwachungssystemen sind Fehlalarme«, schreiben sie.

Im polizeilichen Abschlussbericht des Test hieß es, mit der neuen Technik wolle man insbesondere aktuell 600 sogenannte Gefährder besser im Blick behalten. Pro Tag sei jedoch nur mit rund 100 von ihnen an Bahnhöfen zu rechnen, so die Statistiker - entsprechend mit 80 Treffern. Gleichzeitig würden aber 11,9 Millionen Bahnreisende täglich überwacht. Gemäß den Ergebnissen, die zudem auf für die Systeme idealen Fotos basieren, würden 11 900 Bürger pro Tag fälschlich als Gefährder kategorisiert. Das ergebe eine Fehlalarmrate von 99,3 Prozent, so die Statistiker.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.