Datenschutz für »Reichsbürger«

Bericht zeigt Grenzen für Polizei und Verfassungsschutz auf / Informationsabfragen nur unter bestimmten Bedingungen möglich

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Bundesrepublik ist kein legitimer Staat - diese Auffassung vertreten viele sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter. Entsprechend bereiten sie den Behörden große Probleme. Teilweise sind sie gar bewaffnet. Laut Bundesregierung besitzen mehrere Hundert Angehörige entsprechender Gruppierungen eine waffenrechtliche Erlaubnis. 2016 wurde bei einem Schusswechsel auf dem Gelände eines Reichsbürgers in Bayern ein SEK-Beamter getötet. Dennoch gelten allgemeine Datenschutzrechte auch für Anhänger dieser Bewegung. Das legt der jüngste Tätigkeitsbericht der Landesbeauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht (LDA) Brandenburg dar.

Die Reichsbürgerszene sorgte in den vergangenen Jahren immer wieder für Schlagzeilen, ist dabei jedoch ideologisch wie auch im Ausmaß ihres Widerstandes gegen den Staat sehr divers. So verweigern Reichsbürger die Zahlung von Steuern, Bußgeldern oder Gebühren, behindern die Tätigkeit von Gerichten und Behörden, bedrohen deren Mitarbeiter, nutzen selbst gewählte Titel, verweigern, sich auszuweisen, oder sprechen »Grundstücksbetretungsverbote« aus. Auch Fälle von Gewaltanwendung wurden bekannt. Andere Personen des Spektrums indes distanzieren sich von der Bundesrepublik und ihrer Rechtsordnung lediglich verbal oder durch provokatives Verhalten. Teile der Bewegung stuft der brandenburgische Verfassungsschutz als rechtsextrem ein.

Entsprechend besteht seitens Polizei und Verfassungsschutz das Interesse, bei anderen Behörden Erkundigungen über Angehörige der Bewegung einzuholen. In einigen Kommunen seien Schreiben beider Behörden eingegangen, »in denen in sehr allgemeiner Form gebeten wurde, über alle Sachverhalte zu informieren, bei denen Mitarbeiter verbalen oder körperlichen Angriffen von ›Reichsbürgern‹ ausgesetzt waren«, so der LDA-Bericht. Einige Kommunen hatten nach entsprechenden Anfragen den Datenschutz eingeschaltet und gefragt, wie sie sich demgegenüber verhalten sollten.

Die Polizei darf Daten nur erheben, wenn Anhaltspunkte für einen Tatverdacht oder eine konkrete Gefahr vorliegen, lautete die Antwort. Sie bezog sich auf eine polizeiliche Anfrage, die »unspezifisch formuliert« war und keine Rechtsgrundlage für die gewünschte Datenübermittlung erkennen ließ, urteilten die Datenschützer. Mit dem Verweis auf eine unmittelbar drohende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder zur Abwehr einer schweren Beeinträchtigung von Rechten anderer könne die Übermittlung in Einzelfällen aber geboten sein. »Aber nicht jedes den Verwaltungsablauf störende oder provokante Verhalten, die Vorlage ungültiger Papiere oder ein vorgebrachtes abstruses politisches Bekenntnis berechtigt zur Übermittlung von personenbezogenen Daten an die Polizei«, so der Bericht. In entsprechenden Fällen sei vielmehr mit dem Instrumentarium von Verwaltungsverfahren zu reagieren.

Auch der Verfassungsschutz hatte laut Tätigkeitsbericht gegenüber Kommunalverwaltungen das Anliegen geäußert, alle ihnen bekannten Tatsachen im Zusammenhang mit Reichsbürgern oder »Identitären« inklusive personenbezogener Daten zu übermitteln. Tatsächlich sind die Behörden aufgefordert, den Verfassungsschutz zu informieren, wenn sie Bestrebungen gegen die verfassungsmäßige Grundordnung oder gegen Bestand und Sicherheit von Bund und Ländern wahrnehmen. »Derartige Bestrebungen können sowohl von einem Personenzusammenschluss als auch von Einzelpersonen ausgehen.« Voraussetzung aber sei die erkennbare Absicht, ihre Ziele unter Anwendung von Gewalt zu verfolgen. Eine konkrete Gewalttat muss dafür nicht vorliegen, wenn die Gruppe insgesamt diese Bereitschaft erkennen lässt. »Die Verfassungsschutzbehörde sieht die Reichsbürgerbewegung offenbar als eine derartige Bestrebung mit Gewaltpotenzial an. Die Beurteilung, ob eine Person einer solchen Gruppe angehört, liegt jedoch weiterhin in Verantwortung der Kommune«, so der Datenschutzbericht.

Anders sei der Sachverhalt, wenn sich Einzelpersonen jenseits derartiger Zusammenschlüsse individuell als Reichsbürger oder Selbstversorger zu erkennen geben. Eine Meldung an den Verfassungsschutz aus eigener Initiative käme in diesem Fall nur in Betracht, wenn ein begründeter Verdacht auf mögliche Gewalttaten bezüglich der Person selbst besteht. Die Datenschützer empfehlen Behörden deshalb, »bei zweifelhaften Sachverhalten den Verfassungsschutz zu kontaktieren und relevante Informationen ohne Personenbezug vorzutragen«. Bei Interesse könne der Verfassungsschutz danach ein Ersuchen stellen. Wichtig: »Keinesfalls sind die Kommunen gehalten, Datensammlungen über den Personenkreis intern vorzuhalten oder gezielt Recherchen durchzuführen.«

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