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Demütigungen, Schläge und Gefangenschaft
Wachmänner einer Flüchtlingsunterkunft stehen wegen Misshandlungen vor Gericht
Es ist ein Mammutprozess, der an diesem Donnerstag in der Siegerlandhalle im nordrhein-westfälischen Siegen begonnen hat. Und die Vorwürfe sind gravierend. Fast ein Jahr lang, vom Herbst 2013 bis Herbst 2014, sollen systematische Demütigungen, Schläge und Gefangenschaft zur Praxis in einer Flüchtlingsunterkunft im nordrhein-westfälischen Burbach gehört haben. Im Herbst 2014 tauchten Videos auf, die schockierten. Ein Mann, der sich unter Androhung von Schlägen auf eine Matratze voller Erbrochenem legen sollte, außerdem Fotos, die Folterszenen zeigen. Die Staatsanwaltschaft wirft den 30 Angeklagten, zum Großteil Sicherheitsmänner der Unterkunft, nun zahlreiche Vergehen wie Körperverletzung, Nötigung, Diebstahl und Freiheitsberaubung in 54 Fällen vor.
Wer in der Unterkunft in einer ehemaligen Kaserne negativ auffiel, kam ins »Problemzimmer«. Dort wurden die Menschen gefesselt, geschlagen, bespuckt und angeschrien - oft mehrere Tage. Dass einige der folternden Wachmänner eine extrem rechte Gesinnung vertraten, wurde mit der Aufdeckung des Falles bekannt.
Doch nicht nur Wachmänner waren in den Fall verstrickt. Die Heimleitung und auch Sozialarbeiter billigten die Taten im »Problemzimmer« und sollen sich teilweise daran beteiligt haben. Auch zwei Mitarbeiter der Bezirksregierung Arnsberg sollen von der Existenz des Zimmers gewusst haben. Als Motiv für die Taten sieht die Staatsanwaltschaft Siegen den Versuch, dafür zu sorgen, dass die Flüchtlingsunterkunft unauffällig bleibt. Vorfälle, die Polizeieinsätze oder Medienberichte auslösen, sollten durch das harte Vorgehen vermieden werden. Betreiberfirma in Burbach war »European Homecare«. Nach dem Skandal um Misshandlungen wurde dem Unternehmen die Unterkunft entzogen. Zahlreiche andere Flüchtlingsunterkünfte werden aber weiter von der Essener Firma betrieben. Kürzlich musste eine von »European Homecare« betriebene Einrichtung in Sankt Augustin geschlossen werden, unter anderem waren Hygienestandards nicht eingehalten worden. Die LINKE in Nordrhein-Westfalen kritisierte in diesem Zusammenhang eine »Politik des Wegschauens«, die es ermöglicht habe, dass die Firma »auf Kosten Schutzsuchender« zu einem der größten Betreiber von Flüchtlingsunterkünften werden konnte.
Die Aufnahme von Flüchtlingen ist heute nicht mehr das Problem. Aber die schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen will schneller, mehr und effektiver abschieben. Das führt zu Problemen in Abschiebeeinrichtungen. Besonders fällt die Abschiebehaftanstalt Büren auf. Kürzlich kritisierte die »Nationalstelle zur Verhütung von Folter« Einzelhaft, Kameraüberwachung und Entkleidung bei der Ankunft. Die Kapazität im Abschiebegefängnis soll von 140 auf 175 Gefangene ausgeweitet werden.
Die Landesregierung plant derzeit ein neues Gesetz zur Abschiebehaft. Frank Gockel, Pressesprecher des Vereins »Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.« kritisiert das Gesetz scharf. Die geplante einwöchige Zugangsuntersuchung schränke die Menschen stark ein: »Damit wird den Gefangenen eine Woche lang untersagt, mit Flüchtlingshilfsorganisationen und Rechtsanwälten Kontakt aufzunehmen.« Bei einer Expertenanhörung im Landtag konnte der Verein diesen und weitere Kritikpunkte anbringen. Berivan Aymaz von den Grünen sieht nach der Anhörung Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. »Bei einigen Verschärfungen, die von Minister Stamp geplant sind, steht die Verfassungsmäßigkeit in Frage. Im Kern geht es um Maßnahmen, wie Einzelhaft, Fixierungen von Untergebrachten, die einwöchige Isolation in der Aufnahmephase und die Abschiebungshaft als Instrument der Gefahrenabwehr.« Kritik kommt auch von der LINKEN. Jules El-Khatib, migrationspolitischer Sprecher in NRW, erklärt: »Die geplante Verschärfung des Abschiebehaftgesetzes ist ein Angriff auf die vom Europäischen Gerichtshof zugesicherten Rechte von Personen, die von Abschiebung bedroht sind. Als LINKE lehnen wir das System der Abschiebehaft ab.«
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