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Ein Tiefpunkt mit zwei Defiziten

Islamisten fordern Pakistans Regierung heraus, während das Land dringend Investitionen braucht

  • Alexander Isele
  • Lesedauer: 4 Min.

Pakistan stehen unruhige Zeiten bevor. Seit der am Mittwoch erfolgten Entlassung der wegen Blasphemie zum Tode verurteilten Christin Asia Bibi aus dem Gefängnis demonstrieren Islamisten im ganzen Land. Gegen die drei Richter des Obersten Gerichtshofs, die Bibi nach acht Jahren in der Todeszelle freisprachen, haben Islamisten eine Fatwa ausgesprochen; sie müssen, wie Bibis Familie, um ihr Leben fürchten. Wie ihr Anwalt, Saif-ul-Malook, gegenüber »Bild am Sonntag« bestätigte, hofft Bibi, gemeinsam mit ihrer Familie in Deutschland Asyl zu erhalten. Er selber floh vor der Bedrohung in die Niederlande.

Das ist aber nicht das einzige Problem in Pakistan. Vergangenen Mittwoch bestätigte ein Sprecher des pakistanischen Finanzministeriums, sein Land habe Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über einen Hilfskredit aufgenommen, nachdem Pakistans Devisenreserven anfangs des Monats auf knapp acht Milliarden US-Dollar geschrumpft waren. Pakistanische Medien berichteten, ein mögliches Darlehen solle zwischen sieben und zehn Milliarden Dollar betragen. Stimmt der IWF zu, wäre dies der 13. Milliardenkredit seit 1980.

Dabei hatte der neue Premier Imran Khan eigentlich alles daran gesetzt, nicht mehr auf den IWF angewiesen zu sein, dessen Strukturmaßnahmen im Globalen Süden gefürchtet sind. Pakistans geopolitische Lage als Drehkreuz nach Süd-, Zentral- und Westasien erlaubt es Khan, sich an einem riskanten Ausbalancieren der Interessen fremder Mächte zum eigenen Vorteil zu versuchen.

Dabei zeigt sich der Premier realistisch - und philosophisch: »Länder haben Zyklen, sie haben ihre Höhepunkte, sie haben ihre Tiefpunkte«, sagte er bei einem Besuch in China am 2. November. Knallhart fasste Khan die wirtschaftliche Situation seines Landes zusammen: »Leider durchläuft unser Land derzeit einen Tiefpunkt mit zwei sehr großen Defiziten, einem Haushaltsdefizit und einem Leistungsbilanzdefizit.«

Für China eine Chance, Pakistan an sich zu binden: Staatschef Xi Jinping sieht in dem »China-Pakistan Wirtschaftskorridor« (CPEC) ein zentrales Element seiner »Neue Seidenstraße Initiative«. Die Entscheidung, den pakistanisch-chinesischen Handel künftigen in Yuan abzuwickeln, CPEC auszubauen und die für 2018 vereinbarte Rückzahlung von 2,7 Milliarden US-Dollar an Peking zu stunden, hilft Pakistan; zukünftige Milliardeninvestitionen aus dem Reich der Mitte bieten einen finanziellen Rettungsschirm. China hofft durch die Kooperation, rückständige Regionen im Westen des Landes zu entwickeln.

Offensiv wirbt die Volksrepublik auch um Iran, das Mitglied in der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit werden soll. Dabei spielt Pakistan eine entscheidende Rolle: Seit Jahren ist der iranische Teil einer iranisch-pakistanischen Ölpipeline fertiggestellt. In Pakistan verschleppt sich der Bau, nicht zuletzt auf Druck der USA. Nun könnte das Vorhaben voran kommen. China gehört wie Indien, Japan, Südkorea, Taiwan, Türkei, Italien und Griechenland zu den Staaten, die von dem US-amerikanischen Importembargo für iranisches Öl ausgenommen sind.

Auch sonst verdichten sich die Anzeichen auf eine Annäherung zwischen Iran und Pakistan. Kurz bevor Khan nach China reiste, empfing er in Islamabad Irans Außenminister Javad Zarif. Die beiden sprachen über die Entführung von 14 iranischen Grenzsoldaten durch pakistanische Salafisten und über Khans Angebot, beim Krieg in Jemen zwischen Iran und Saudi-Arabien zu vermitteln.

Das ruft Riad auf den Plan: Nach dem Fiasko der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi in Istanbul will das Königshaus Saud unter allen Umständen vermeiden, dass sich Islamabad Iran zuwendet. Nicht unbemerkt blieb die im Oktober von Teheran und Moskau geschlossene Absichtserklärung über den Bau einer 2775 Kilometer langen Pipeline von Iran nach Indien - durch Pakistan. Riads Antwort: Ein sechs Milliarden US-Dollar schweres Hilfspaket an Pakistan inklusive Rohöllieferungen sowie die Ankündung, in eine schon lange verzögerte Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Indien Gaspipeline zu investieren.

Egal, für welche Seite sich Khan entscheidet, die alten oder neuen Partner werden auf Stabilität im Land drängen. Doch davon ist Pakistan weit entfernt. Der Staat scheitert daran, Grundbedürfnisse der 208 Millionen Pakistaner wie das nach sauberem Trinkwasser zu erfüllen. Islamisten nutzen die Situation aus und instrumentalisieren Teile der Bevölkerung für eigene Machtbestrebungen. Khan, der nur dank der Unterstützung des Militärs die Wahlen im Juli gewonnen hat, könnte die Konfrontation mit den Islamisten wagen. Dafür spricht, dass Anfang des Monats Maulana Samiul Haq, der »Pate der Taliban«, erstochen wurde. In dessen Koranschule wurden Größen der afghanischen Taliban wie Mullah Omar ausgebildet. Aber wie die Proteste nach der Freilassung Asia Bibis zeigt, dürfte ein Machtkamp mit den Islamisten schwer zu gewinnen sein.

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