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Vertane Chance auf Strukturreform
Bildungsministerium will Bafög-Höchstsatz anheben, darunter auch die Wohnkostenpauschale
Wie am Dienstag bekannt wurde, hat das Bundesbildungsministerium ein Eckpunktepapier für eine Novellierung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (Bafög) ausgearbeitet. Demnach soll der Bafög-Höchstsatz von derzeit 735 Euro schrittweise auf 850 Euro angehoben werden. Dabei eingerechnet ist eine Wohnkostenpauschale für Studenten, die nicht bei ihren Eltern leben. Diese soll von 250 auf 325 Euro erhöht werden. Ferner sollen die Einkommensfreibeträge für zum Unterhalt verpflichtete Eltern schrittweise um neun Prozent steigen, um den Kreis der Bafög-Berechtigten zu vergrößern. Auch das anrechnungsfreie Vermögen von Studenten, beispielsweise aus Ausbildungssparverträgen, soll erhöht werden.
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sprach am Dienstag gegenüber Medienvertretern von einem »großen Schritt für mehr Chancengleichheit in Bildung«. Die Regierung packe Probleme an, die »die Studierenden am meisten drücken: die vielerorts proportional gestiegenen Mieten und zu geringe Freibeträge, die viele vom Bafög ausschließen«. Laut bisheriger Planung soll ein entsprechender Gesetzentwurf im Frühjahr vom Kabinett beschlossen und in den Bundestag eingebracht werden. Im Herbst 2019 könnte die Reform dann in Kraft treten.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) begrüßte die Initiative als »wichtigen ersten Schritt«. Die jetzt vorgeschlagenen Erhöhungen reichten aber für die Bedarfsdeckung keineswegs aus, erklärte der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller am Dienstag. Besonders die Wohnkostenpauschale von 325 Euro sei zu niedrig bemessen, denn dafür sei »in vielen Hochschulstädten keine Studentenbude anzumieten«, so Keller. Die Ministerin müsse daher »noch eine Schippe drauflegen«. Sinnvoll wäre ferner, das Bafög künftig automatisch an die Lebenshaltungskosten anzupassen, »damit nicht jedes Jahr um Prozente gefeilscht wird«.
Vor allem kritisiert die GEW, dass mit der Novelle erneut die Chance auf eine dringend notwendige Strukturreform vertan werde. Denn viele Studienberechtigte aus sozial benachteiligten Familien scheuen den Hochschulbesuch, da es sich beim Bafög teilweise um ein rückzahlbares Darlehen handelt und man daher nach der Beendigung des Studiums auf einem Schuldenberg sitzt.
1971 hatte die sozial-liberale Regierung unter Willy Brandt (SPD) das Bafög als rückzahlungsfreie Unterstützungsleistung eingeführt, auf die ein individueller Rechtsanspruch bestand. Der Anteil der förderberechtigten Studenten aus ärmeren Bevölkerungskreisen und dabei besonders aus Arbeiterfamilien stieg daraufhin auf knapp 45 Prozent. Nachdem diese Reform später schrittweise zurückgenommen wurde, sank dieser Anteil wieder. Laut der Sozialerhebung des deutschen Studentenwerks lag er 2016 bei 25 Prozent. Entsprechend sank der Anteil von Studenten aus Familien mit einfachem Bildungshintergrund. Aus der Erhebung geht ferner hervor, dass immer mehr Studenten neben ihrem Studium einer Erwerbsarbeit nachgehen müssen, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. 2016 waren es fast 70 Prozent, wobei die meisten die hohen Wohnkosten als Grund angaben.
Andere Zahlen belegen ebenfalls, dass vor allem die Wohnkostenpauschale vollkommen unzureichend ist. Laut einer Erhebung des Moses-Mendelssohn-Instituts lagen die durchschnittlichen Wohnkosten von Studenten im Jahr 2017 bei 353 Euro. In vielen Universitätsstädten liegen sie jedoch deutlich über 400 Euro, in München gar bei 570 Euro. Und die Tendenz ist weiter deutlich steigend. Es fehlt vor allem an preiswerten Plätzen in Studentenwohnheimen, die Wartezeiten liegen beispielsweise in Berlin laut Studentenwerk bei bis zu anderthalb Jahren. Auf der anderen Seite errichten private Investoren immer mehr kommerzielle »Mikro-Appartments« für Studenten aus betuchten Verhältnissen, für eine Miete von 550 bis knapp 800 Euro im Monat.
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