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EU-Parlament gegen gekürztes Kindergeld
Eigentlich hatte die Bundesregierung verkündet, sich in der EU dafür einzusetzen, dass Kindergeld in Abhängigkeit vom Wohnort der Kinder zu zahlen. Das EU-Parlament stellt sich nun dagegen
Im August bemühte »Bild« wieder einmal das Klischee der gerissenen EU-Arbeitsmigrant*innen, die nur nach Deutschland kämen, um Kasse auf Kosten des ehrlichen, deutschen Steuerzahlers zu machen. »Ein Bulgare erzählt, warum er das deutsche Kindergeld liebt«, schrieb das Blatt riesig. Es ging darum, dass Bulgaren nach Deutschland zum Arbeiten reisten- rein zum Zweck, hier das Kindergeld für ihre daheimgebliebenen Kinder einzustreichen. Der Duisburger SPD-Oberbürgermeister Sören Link klagte gar über vermeintliche Abzocke durch organisierte Banden. Forderungen nach Anpassungen des Kindergelds an die Lebenshaltungskosten des Wohnorts des Kindes wurden laut.
Ausgerechnet das SPD geführte Arbeitsministerium ließ es sich nehmen, das Thema auf EU-Ebene voranzubringen. Gegenüber dem Handelsblatt erklärte eine Sprecherin des Ministeriums im August, man habe man die Forderung nach einer Indexierung des Kindergeldes »in diversen Schreiben und Äußerungen auf EU-Ebene deutlich vertreten«. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) habe das Thema zudem bei einem Treffen mit seinen EU-Kollegen im Juni angesprochen. Die Erfolgsaussichten: Gemischt. Denn auch die EU-Kommission war angesichts dieser Idee skeptisch. Bislang gilt, dass die Höhe der Sozialleistungen, wie das Kindergeld, davon abhängig ist, was man vor Ort für ein Anrecht erwirbt- nicht, wo die Kinder leben.
Am Dienstag stellte sich nun auch Beschäftigungsausschuss gegen eine Änderung beim Kindergeld. »Das soziale Europa rückt näher zusammen. Die große Mehrheit der Abgeordneten des Sozialausschusses macht bei dem Versuch der Konservativen und Liberalen nicht mit, eine Neiddebatte anzustacheln und ungleiche Lebensverhältnisse in der Europäischen Union gegeneinander auszuspielen. Es muss gleiche Leistung bei gleichen Beiträgen geben«, sagte Terry Reintke, Grüne EU-Abgeordnete im EU-Beschäftigungsausschusses, nach der Abstimmung. Sie wies zudem darauf hin, dass eine Indexierung eben auch deutsche Kinder betroffen hätte, wenn deren Eltern beispielsweise in Schweden arbeiten würden.
Gabi Zimmer, Vorsitzende der Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke, strich das Ergebnis positiv heraus: »Osteuropäische Kinder werden keine EU-Bürger zweiter Klasse. Schlupflöcher für Sozialdumping werden geschlossen«, sagte Zimmer am Dienstag. Es sei vor allem ein Ergebnis vereinter linker Kräfte gegen das konservative Lager gewesen. »Das Parlament hat heute gezeigt, dass es eine echte soziale Anwältin der EU-Bürger sein kann.« Jetzt werden man das sehr gute Ergebnis in den Verhandlungen mit den Sozialministern im Rat verteidigen.
Die Mehrheit des Beschäftigungsausschusses stimmte zudem dafür, dass Arbeitslosengeld ein halbes Jahr in andere EU-Länder mitgenommen werden kann, um dort leichter Arbeit zu finden. Grenzgänger, die in einem EU-Land wohnen und täglich in ein anderes zum Arbeiten fahren, sollen zukünftig die Wahl bekommen, wo sie Arbeitslosengeld beantragen. Zudem sollen Schlupflöcher für Sozialbetrug durch Unternehmen geschlossen werden, wenn diese ihre Arbeiter in andere EU-Länder entsenden.
Das Ergebnis gilt als bedeutsam. Solange es nicht mehr als 76 Mitglieder des europäischen Parlaments gibt, die noch einmal eine Debatte im gesamten Parlament verlangen, gilt das Ausschussergebnis als Position des Gremiums. Da auch der Rat und die Kommission sich bislang gegen die Indexierung des Kindergelds ausgesprochen haben, dürfte das Thema so gut wie vom Tisch sein.
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