Vorsicht vor dem »Volk«

Warum die brasilianische Arbeiterpartei PT einen Anteil am Wahlsieg des rechtsextremen Jair Bolsonaro hat

  • Alberto Acosta und Eduardo Gudynas
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Wahlsieg des rechtsextremen Politikers Jair Bolsonaro in Brasilien schlägt in ganz Lateinamerika Wellen. Dem ganzen Kontinent wurde von Bolsonaros Triumph, der bis dahin ein völlig unbekannter Rechtsaußen-Politiker war, eine Lehre erteilt. Aber auch der Rückschlag für die brasilianische Arbeiterpartei (PT) ist lehrreich. Auch wenn das nicht die einzige Erklärung sein kann, so hat doch das Scheitern des progressiven Lagers, gekennzeichnet durch seinen Rohstoff-Extraktivismus, die Bedingungen für den Aufstieg ultrakonservativ-faschistischer Regierungen erst geschaffen. Die Linke ist jetzt aufgefordert zu verstehen, was genau da eigentlich passiert ist.

Das ist eine große Herausforderung. Denn für einen Großteil der lateinamerikanischen Gesellschaft ist das Scheitern der Progressiven, das nicht nur eine kulturelle und symbolische Niederlage für viele Illusionen und Veränderungsversprechen ist, ein Rückschlag, den sie der Linken anlasten. In ganz Lateinamerika haben konservative Gruppen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür gesorgt, eine linke Option zu diskreditieren. Demokratiekrisen in Venezuela und Nicaragua und die Krise der PT in Brasilien werden vermischt um zu zeigen, dass linke Alternativen ein Ding der Unmöglichkeit seien, von Korruption zerfressen, mit Blut beschmiert, und so weiter.

Die brasilianische Krise macht besonders auch die Notwendigkeit klar, auf dem Unterschied zwischen links und progressiv zu bestehen. So resultieren viele der brasilianischen Probleme in der jahrelangen PT-Regierung und ihrer Verbündeten, die Schritt für Schritt ihre linken Anfangsideen vergessen und sich in Progressive verwandelt haben. Das haben sie auch nie versteckt, sondern haben es zu ihrem Markenkern gemacht. Eine Lektion aus der Bolsonaro-Wahl muss darum sein: Links und progressiv ist nicht dasselbe. Die Regierung von Lula da Silva präsentierte sich als Paradebeispiel für die »neue Linke« in ganz Lateinamerika und der Welt. Viele Linke in anderen Ländern nahmen sich die PT als Vorbild. Außerdem wurde immer und immer wieder darauf verwiesen, dass die Mehrheit »des Volkes« der Linken angehöre, um so Wahlerfolge wie von Dilma Rousseff zu erklären.

Die juristisch fragwürdige Absetzung von Dilma, die Regierung ihres konservativen Vize-Präsidenten Temer und der Sieg von Bolsonaro sind Beleg dafür, dass die brasilianische Gesellschaft konservativer ist als angenommen. Dasselbe »Volk«, das vorher den Progressiven zugejubelt hat, feiert heute einen Kandidaten, der faschistische Reden schwingt. Natürlich darf nicht vergessen werden, dass viele auch aus Protest gegen die PT für Bolsonaro stimmten. Eine weitere Lektion muss darum sein: Vorsicht mit der Verwendung von Kategorien wie »das Volk« und mit Einschätzungen darüber, was die vorherrschenden Gedanken und Befindlichkeiten in der Bevölkerung sind.

Eine weitere Lektion: Die Risiken eines politischen Programms, das sich auf die Zusammenarbeit mit konservativen Sektoren stützt, um Wahlen zu gewinnen. Eine falsche Annahme ist hierbei, dass man meint, zuerst Wahlen zu »gewinnen«, um dann vom Regierungspalast aus den Staat und die Gesellschaft zu »verändern«. So hat die PT mit der Mitterechtspartei »Partido Movimiento Democrático Brasileño« (PMDB) zusammengearbeitet, um »Regierungsfähigkeit« zu garantieren. Und sie hat sich dem auf Rohstoff-Extraktivismus basierten Entwicklungsmodell verschrieben. Genau das sind Merkmale, die eine Linke vom Progressivismus unterscheidet. So gerät man in eine Situation, in der die Progressiven ein aufs andere Mal so tut, als sei sie links. Während die Rechte weder so tut, noch etwas versteckt. Bolsonaro greift offen Indigene und Afrobrasilianer an, ist offen homophob und frauenfeindlich, macht Witze über das Erschießen von Linken, verteidigt Folter und Diktatur. Ob es uns gefällt oder nicht, diese Art des Redens wird von einem bedeutenden Teil der brasilianischen Gesellschaft unterstützt.

In zwei Wochen lesen Sie Teil 2 des Beitrages.
Übersetzung: Benjamin Beutler

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Mehr aus: Klima und Wandel