Ansätze für ein anderes Sachsen

In einem Buch der Linksfraktion sammeln die Autoren Ideen für die Zukunft des Freistaats

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach einer halben Stunde hielt es Nadine Lantzsch nicht mehr aus. Die in Hoyerswerda geborene Mittdreißigerin, die als Bloggerin und feministische Aktivistin in Berlin lebt, war in Dresden im Kabarett »Herkuleskeule«. Sie hatte sich auf bissige Satire über die politischen Zustände im Freistaat gefreut und ächzte stattdessen unter billigen Witzen über Frauen und Fremde, die Schenkelklopfen auslösten. Es sei fatal, sagt sie, dass man sich offenbar »in Sachsen für Augenhöhe und Menschenwürde anstellen muss wie für saftig-süße Orangen zu Weihnachten 1987«.

Der Satz findet sich in einem Text, den Lantzsch zu einem von der sächsischen Linksfraktion herausgegebenen Buch beisteuerte. »Es liegt an uns. Wie wir Zuversicht schaffen können«, lautet der Titel. Lantzschs Beitrag, merkte Fraktionschef Rico Gebhardt bei der Vorstellung an, strahle indes eher wenig Zuversicht aus, sondern zeichne ein düsteres Bild vom Freistaat und seinen Bewohnern, über die es bei der Autorin heißt, sie gerieten leicht »außer sich«, wenn sie nicht »unter sich« bleiben dürften. Ob sie Sachsen dennoch möge? »Etwas mögen und zugleich depressiv finden, schließt sich für mich nicht aus.«

Ähnlich wie Lantzsch fühlen auch andere der 21 Gastautoren, die Gebhardt für das Buch gewonnen hat. Sie hängen an der Region, aber sind aus unterschiedlichen Gründen unzufrieden mit den Verhältnissen - und teils erschrocken darüber, welche Ansichten und Haltungen zumindest ein Teil der Sachsen heute offenbart: aggressiven Fremdenhass, ungeniertes Anbandeln mit Rechtsextremen. Es habe sich, sagt der im Sauerland gebürtige, seit 20 Jahren in Sachsen lebende Journalist Hubert Kemper, »etwas geändert an der Liebe« zu Land und Leuten. Er spricht von »Unzufriedenheit, die sich in Teile der Bevölkerung und gewisse politische Interessengruppen gefressen« habe und die er angesichts eines im Vergleich zu Osteuropa hohen Wohlstands als »rätselhaft« bezeichnet.

Allen Autoren gemein ist freilich, dass sie sich Gedanken machen, wie das zu ändern ist. Ansätze und Akzente sind so unterschiedlich wie die Schreiber. Texte beigesteuert haben der CDU-Bürgermeister eines Dorfes in der Lausitz und eine Flüchtlingshelferin aus Mittelsachsen; ein Verfassungsrichter mit SPD-Parteibuch und ein Sozialarbeiter; der Präsident einer Handwerkskammer und eine Geschäftsfrau aus Ostsachsen, die mit viel Elan in die Marktwirtschaft gestartet war und unter die Räder kam; dazu die Chefs des Paritätischen Wohlfahrts- und des sorbischen Dachverbandes Domowina. Es geht um Schulen, gewerkschaftliches Engagement, künstliche Intelligenz, Nachbarschaft, Ehrenamt und Heimat.

Gebhardt sieht in dem Buch einen Versuch, eine oft beklagte Ideen- und Sprachlosigkeit im Land zu überwinden. Man solle auch in Sachsen »mehr mit- als übereinander reden«, um neue Ideen für das Gemeinwesen zu entwickeln, sagt er - ein Gemeinwesen, das zunehmend gespalten ist und dessen größerer Teil in Verunsicherung verhaftet zu sein scheint. Von der »nervösen Mitte« sprach unlängst der Chef der Landeszentrale für politische Bildung, Roland Löffler. Weniger als ein Jahr vor der Landtagswahl ist das ein fataler Zustand. Kemper, lange Landeskorrespondent der Chemnitzer »Freien Presse«, fürchtet Arges, auch angesichts einer »beachtlichen Schnittmenge« von CDU und AfD. Noch hat er Hoffnung - in die »große Masse«, die dem rechten Populismus nichts abgewinnen kann, bisher aber auch nicht offen widerspricht: »Das Auflehnen und Aufbäumen«, so Kemper, »habe ich vermisst.« Lantzsch ist ebenfalls der Meinung, es müsse ein »Ruck« durch das Land gehen. Allerdings, fügt sie zerknirscht an, gebe es bisher »nur einen Ruck nach rechts«.

Die Frage, wie man ihm begegnet, stellt sich auch der LINKEN. Bedenkenswert scheinen Anmerkungen im Buch, aufgeschrieben von Peter Porsch, Vorvorgänger Gebhardts an der Fraktionsspitze und nun Chef der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. Die LINKE, schreibt er, werde »keine Sachsen-Partei«, sie sollte aber »Links auf Sächsisch« können. Porsch kritisiert, die frühere Ostpartei PDS habe seit Gründung der Linkspartei »das Regional-Kulturelle als (...) Objekt der Pflege weitgehend verloren« und sich dadurch »von wichtigen Milieus abgekoppelt«. Auch das, fügt er an, sei eine »Lücke«, die die AfD seither füllt.

Das Buch gibt es bei der Fraktion oder online.

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