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Da bewegt sich was
Der Biathlonweltverband steckt in der Krise, zum Saisonstart gibt er sich erneuert.
Am 8. Januar jährt sich Arnd Peiffers Feuertaufe im Biathlonweltcup zum zehnten Mal. Mit der deutschen Männerstaffel lief er in Oberhof damals auf Rang drei - und hat seitdem viel erlebt in seinem Beruf: 2011 wurde er Weltmeister im Sprint, vor neun Monaten holte er in derselben Disziplin olympisches Gold. Bei der Heim-WM in Ruhpolding vergab Peiffer aber 2012 auch den möglichen Sieg der deutschen Mixed-Staffel, weil er die hoch stehende Märzsonne unterschätzte. Vier Jahre später zog er sich in Presque Isle in den USA bei einem Sturz sogar eine schwere Gehirnerschütterung samt blutiger Schürfwunden im Gesicht zu. Doch eines blieb für den langen Niedersachsen bei all den Auf und Abs konstant: seine Skepsis gegenüber dem eigenen Weltverband.
»Früher dachten wir Athleten immer: Was macht der Verband eigentlich?«, erzählt Peiffer im Gespräch mit dem »nd«. Dieses »früher« endete sehr abrupt - in diesem Frühjahr, als die Internationale Biathlon-Union (IBU) in ihren Grundfesten erschüttert wurde: durch eine Razzia an ihrem Sitz in Salzburg und durch Vorwürfe gegen Spitzenfunktionäre, Doping vertuscht zu haben und bestechlich gewesen zu sein. »Im April ging es ziemlich zur Sache, da dachte ich mir schon: Großer Gott, wo bist du denn hier gelandet?«, erinnert sich Quereinsteigerin Denise Herrmann, die vor zweieinhalb Jahren vom Langlauf in die Skijägerei gewechselt war. »Da war wirklich einiges los«, bestätigt auch Routinier Peiffer, der vor dem Start in die neue Saison sagt: »So richtig abgeschlossen ist ja noch nichts.«
In den nacholympischen Winter, der an diesem Sonntag im slowenischen Pokljuka mit den gemischten Staffeln beginnt, gehen die Biathleten trotzdem mit neuem Optimismus. Denn die skandalumtoste IBU, knapp 25 Jahre nach ihrer Gründung am ultimativen Tiefpunkt angelangt, hat sich mittlerweile etwas bewegt. Noch im Juni hatte das Internationale Olympische Komitee alle Zahlungen an den Biathlonverband gestoppt, seit einem Treffen von IOC-Präsident Thomas Bach mit dem neuen IBU-Präsidenten Olle Dahlin Anfang November fließt das Geld aber wieder. Denn dazwischen lag der Verbandskongress im September in Porec.
Unter anderem wurde an der kroatischen Mittelmeerküste der 64-jährige Dahlin zum neuen Präsidenten gewählt. Der Schwede trat damit die Nachfolge des Norwegers Anders Besseberg an, der im Zuge der Ermittlungen sein Amt Mitte April bis auf weiteres niedergelegt hatte und zur Vorstandswahl in Porec nicht wieder angetreten war; die deutsche IBU-Generalsekretärin Nicole Resch war parallel zu Bessebergs Rückzug im Frühjahr vorübergehend suspendiert worden.
»Von den Wohnungsdurchsuchungen und Korruptionsvorwürfen bin ich damals etwas überrascht worden - und war auch etwas angetitscht«, sagt Peiffer. Er versuche, die ganze Sache nun positiv zu sehen, schließlich habe sich eine Menge getan. Als Beispiel nennt der 31-Jährige das verbesserte Mitspracherecht der Sportler über das Athletenkomitee und die deutlich größere Transparenz, die im vergangenen halben Jahr in den Weltverband eingezogen sei. »Von der Grundstruktur war die IBU noch auf dem Stand von Anfang der 90er Jahre, und jetzt verändert sich eben etwas. Deshalb versuche ich, das als Chance zu sehen, dass nötige Reformen wirklich angegangen werden«, betont Peiffer. Eine gesunde Skepsis steckt dem höflichen und klugen Olympiasieger allerdings immer noch in den Kleidern. Genauso wie seinem Trainer Mark Kirchner.
Als die IBU 1993 aus der Taufe gehoben wurde, feierte der Männer-Bundestrainer mit drei Olympiasiegen ein Jahr zuvor in Albertville (zwei) und ein Jahr danach in Lillehammer gerade die größten Erfolge in seiner Karriere. Der gebürtige Thüringer, der seit dieser Saison als Cheftrainer auch ein Auge auf das Frauenteam des Deutschen Skiverbands (DSV) haben soll, kennt den Weltverband also in all seinen Schattierungen, entsprechend skeptisch blickt er auf den aktuellen Neustart. »Die IBU hat nach wie vor ihre Struktur, ihre Arbeitsabläufe, die funktionieren. Deshalb bin ich da eher entspannt«, sagt Kirchner zwar. Auch die Entscheidung, wegen der dort nach wie vor ungelösten Dopingproblematik bis 2022 keine Wettkämpfe nach Russland zu vergeben, findet er »in Ordnung«. Doch das allein genügt dem 48-Jährigen nicht - denn: »Sotschi schwingt immer noch nach, von den Spielen 2014 ist noch immer nicht alles ausgewertet.«
Von den 90ern hat sich die IBU zwar verabschiedet. Endgültig in der Gegenwart gelandet ist sie aber noch nicht. Noch fehlt es ihr dafür vor allem an Glaubwürdigkeit. »Ich habe nicht den Einblick, was da hinter den Kulissen so abläuft. Ich kann also nur das interpretieren, was ich über die Öffentlichkeit immer mal mitbekommen habe. Da waren die Informationen - ich will nicht sagen: dürftig - aber oft nicht gleichmäßig oder durchgehend«, bemängelt Kirchner. Er hätte sich gewünscht, dass heikle Themen »behandelt, abgearbeitet und entschieden« worden wären. »Stattdessen war da immer diese Grauzone, dieser Grauschleier - und der lichtete sich nie. Der hat sich auch bis jetzt nicht gelichtet.«
Daher empfiehlt Kirchner den deutschen Biathleten stets, sich nicht zu intensiv mit diesen Dingen zu beschäftigen. Ein Ratschlag, den ausgerechnet Erik Lesser aus Kirchners Oberhofer Trainingsgruppe am allerwenigsten beherzigt. Der 30-jährige Thüringer ist ein besonders kritischer Zeitgenosse, im März wurde er ins Athletenkomitee der IBU gewählt. Über die US-Amerikanerin Clare Egan, die als Komiteechefin einen Sitz im Vorstand der IBU-Exekutive hat, und Lesser wandern Neuigkeiten aus dem Verband per E-Mail nun immer direkt weiter an die Biathleten. Und da gibt es, findet Lesser, einige positive Entwicklungen.
So lobt der Verfolgungsweltmeister von 2015 die jüngste Einberufung eines Ethikkomitees, das die Geschehnisse der Vergangenheit aufarbeiten soll. Er erwähnt, dass das medizinische Komitee des Weltverbandes zur Dopingbekämpfung an verschiedenen Blutproben und -pässen arbeite. Und er begrüßt die Meldung der IBU vom 30. August, nach der vier russische Athletinnen und Athleten noch positiv getestet worden sein könnten.
»Das zeigt, dass die Aufarbeitung vorangetrieben wird«, sagt Lesser, dem speziell die klare Haltung der führenden Biathlonfunktionäre gegenüber dem russischen Verband gefällt. Dessen Antrag, wieder vollwertiges Mitglied der IBU zu werden, hat der Weltverband Mitte November an die Einhaltung und Umsetzung strenger Richtlinien geknüpft. Zwölf Kriterien müssen danach erfüllt sein, darunter der Zugang zu den Daten des Moskauer Dopingkontrolllabors und die Einrichtung eines effektiven Testverfahrens für russische Athleten. »Ich begrüße diese Maßnahmen - denn der russische Verband hat noch nicht wirklich viel dazu beigetragen, Licht ins Dunkel zu bringen. Gut ist auch, dass jetzt klare Forderungen gestellt werden - alles andere wäre wieder wischiwaschi«, betont Lesser und schiebt hinterher: »Jetzt hoffe ich nur, dass der russische Verband auch gewillt ist, die Forderungen zu erfüllen.«
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