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«Lasst die Menschen träumen!»

Brüssel und Paris zeigen, dass die Verkehrswende vor allem gut verkauft werden muss.

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

Ich bin überzeugt davon, dass der größte Fehler der Menschheit die Erfindung des Privatautos ist«, sagt Pascal Smet. »Es ist der ineffizienteste Weg, um Menschen zu befördern - und außerdem sehr laut!« Smet ist Minister für Mobilität in der belgischen Hauptstadt Brüssel. Das Mitglied der Socialistische Partij Anders hat sich die Verkehrswende auf die Fahnen geschrieben. »Wir wollen weg von der autoorientierten Stadt hin zu einer Stadt für die Menschen«, sagt er.

Ein Weg, den auch die deutsche Hauptstadt einschlagen will. Auf Einladung der Verkehrs- und Umweltsenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) sind Amtskollegen aus sechs Partnerstädten am Mittwoch und Donnerstag zum Kongress »Neue Wege für Berlin« zu Gast. Neben Brüssel sind Paris, London, Moskau, Peking und Los Angeles vertreten. »Die Städte sind weltweit im Umbruch«, sagt Günther. Die Themen seien überall die gleichen: Bevölkerungswachstum, Klimaschutz, Verkehrssicherheit und Gesundheitsschutz.

»Der Druck durch die wachsende Bevölkerung ist eines der größten Probleme, das wir haben«, berichtet Alex Williams, Chef der Stadtplanung bei Transport for London. »Wir haben überhaupt keinen Platz für zusätzliche Straßen, selbst wenn wir sie bauen wollten.« Seine Schlussfolgerung: »Wir müssen die Stadt attraktiver für Fußgänger und Radfahrer machen.«

Seine Behörde hat in einem sehr umfassenden Ansatz zehn Kriterien für gesunde Straßen entwickelt. Zum Beispiel muss es einfach sein, sie zu überqueren. Physische Barrieren wie Gitter oder Podeste sollten Fußgänger nicht daran hindern, die Straßenseite zu wechseln. Auch schnell fahrende oder viele Autos sollen keine Hürde mehr sein. Wichtig sind demnach auch Sitzgelegenheiten, Wetterschutz an Haltestellen, genauso wie ein abwechslungsreiches und ansprechendes Straßenbild und viele Geschäfte für die Nahversorgung. Ein Leitbild also, das keine genauen technischen Regeln vorschreibt, sondern anhand dessen in jeder Straße geschaut werden soll, was möglich ist.

In London geht seit 15 Jahren der motorisierte Individualverkehr zurück, unter anderem wegen der 2003 eingeführten Citymaut. 11,50 Pfund pro Tag - derzeit knapp 13 Euro - kostet aktuell die Fahrt in die Innenstadt. »In Deutschland wird viel über Fahrverbote diskutiert«, erklärt Alex Williams. Er hält Gebühren für einen größeren Anreiz, die Flotten zu modernisieren. Ab April kommen für Fahrzeuge, die strenge Abgas-Grenzwerte nicht einhalten, noch einmal 12,50 Pfund dazu. Williams hofft, auch einen anderen Trend damit bremsen zu können: Seit zwei Jahren steigt aufgrund der verschiedensten Internetdienste der Lieferverkehr.

Eine Citymaut hat Paris nicht, dafür nimmt man dort dem Autoverkehr Raum weg. Auf 3,3 Kilometern Länge wurde das rechte Seineufer zur Fußgängerzone und zum Fahrradschnellweg. 1967 wurde die Strecke unter dem Namen Voie Georges-Pompidou als Auto-Schnellstraße eröffnet. Die Wiedereroberung des Uferstreifens für die Stadtgesellschaft hatte 15 Jahre gedauert. »Zuerst mussten wir den Nahverkehr ausbauen, erst dann konnten wir die Straße sperren«, sagt der Pariser Vizebürgermeister und Verkehrsbeauftragte Christophe Najdovski. Es gab viel Widerstand, mehrere Jahre wurde um die Entscheidung prozessiert, erst im Oktober urteilte ein Gericht abschließend im Sinne der Stadtregierung. »Immerhin 60 Prozent der Bevölkerung sind inzwischen dafür«, so Najdovski. Im Umkehrschluss seien aber immer noch 40 Prozent dagegen. »Es ist auch eine Generationenfrage: Bei den Jüngeren finden 80 Prozent die Fußgängerzone gut.«

»Junge Leute sind die Zukunft der Stadt. Hören Sie nicht zu sehr auf alte Menschen«, rät der Brüsseler Smet. Und: »Lasst die Menschen träumen!« Das gehe nicht mit technischen Plänen, sondern mit Bildern, wie die Straßen und Plätze zukünftig aussehen sollen. »Architekten können Pläne lesen, die meisten Bürger nicht«, ist Smet überzeugt. »Man muss über die Planungen diskutieren, aber die Politik muss entscheiden«, sagt er. Man dürfe nicht nur reden, man müsse auch liefern. Und natürlich nicht Wasser predigen und Wein trinken. Smet fährt fast ausschließlich Rad, Bus oder Bahn. »Ganz selten mal mit dem Auto«, gibt er zu.

Ein bisschen müsse man die Bürger auch zu ihrem Glück zwingen, sagt Smet und schildert die Erfahrungen beim Bau einer neuen Straßenbahnlinie in Brüssel. Niemand in der Stadt habe die neue Strecke haben wollen. »Geh mit der Tram hin, wo der Pfeffer wächst«, hätten viele gesagt. »Als die Strecke eröffnete, saßen die ganzen Gegner in den Zügen«, so Smet. »Einen Monat später war der Bau ihre Idee.«

Derzeit arbeitet Brüssel daran, die bisherige Autoschneise an der Börse in eine Fußgängerzone umzuwandeln. Es gibt starken Gegenwind, die Bauarbeiten, bei denen auch U-Bahntunnel saniert werden, dauern Jahre länger als erwartet, Ladeninhaber protestieren. »Geschäftsleute denken, dass Autos Dinge kaufen. Dabei sind es die Menschen, die das tun«, erklärt der leidenschaftliche Politiker.

Und in Berlin? »Wir haben viele Infrastrukturschulden, die dazu führen, dass der öffentliche Nahverkehr nicht so leistungsfähig ist, wie er sein sollte«, sagt Regine Günther. »Und von einer Radinfrastruktur kann man fast nicht sprechen.« Mit dem Mobilitätsgesetz ist immerhin die Grundlage gelegt worden für ein Zurückdrängen des Individualverkehrs. Nach zwei Jahren rot-rot-grüner Koalition ist auf den Straßen kaum etwas zu sehen. »Wir werden Berlin verändern, wir werden Berlin umgestalten«, verspricht die Verkehrssenatorin. Doch es fehlt an Planern, Verwaltungsmitarbeitern und effizienten Strukturen in der Stadt. Ob Regine Günther die Berliner wirklich zum Träumen bringen kann, bleibt abzuwarten.

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