- Politik
- SPD und die Europawahl
Mit Patriotismus in den Wahlkampf
Frans Timmermans ist der sozialdemokratische EU-Spitzenkandidat. In Deutschland tritt Katarina Barley an
Die Europäische Union ist im Leben von Katarina Barley allgegenwärtig. »Ich trage Europa bei mir in jeder Form, in meinem Herzen sowieso, aber auch in meiner Handtasche«, sagte die Justizministerin auf der Europadelegiertenkonferenz der SPD am Sonntag in Berlin. Barley hat nämlich zwei Pässe. Ihre Mutter ist Deutsche, der Vater Brite. Sie will ihr Amt als Justizministerin bis zur Europawahl im Mai abgeben und nach Brüssel wechseln. Für die Europapolitik scheint Barley schon allein wegen ihrer Herkunft prädestiniert zu sein.
In der SPD ist man erleichtert, dass eine halbwegs prominente Politikerin als Spitzenkandidatin antritt. Denn der Wahlkampf wird angesichts der gegenwärtigen Krise der Partei äußerst schwierig. Immerhin kann Barley dabei auf den Rückhalt ihrer Partei zählen. 99 Prozent der Delegierten unterstützten ihre Spitzenkandidatur. Ihr wird der Europapolitiker Udo Bullmann zur Seite stehen. Er erhielt 97,4 Prozent der Stimmen. Sein Name steht nun auf Listenplatz zwei.
In ihrer Rede forderte Barley einen europäischen Mindestlohn und eine europäische Arbeitslosenversicherung. Den deutschen Mindestlohn von 8,84 Euro bezeichnete sie als »verdammt niedrig«. Allerdings hat sich die SPD in der Bundesregierung bisher nicht vehement dafür eingesetzt, dass der Mindestlohn in dem Maße erhöht wird, dass er existenzsichernd ist. Über die Höhe des Mindestlohns berät eine Mindestlohnkommission aus Gewerkschaften, Unternehmern und Wissenschaftlern.
Neben den deutschen Spitzenkandidaten trat auch der Niederländer Frans Timmermans bei der SPD-Veranstaltung auf. Er war am Vortag auf einem Parteitag in Lissabon zum europaweiten Spitzenmann der Sozialdemokraten gewählt worden. Der 57-Jährige ist somit auch ein Kandidat für die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
In Berlin erklärte Timmermans, er sei ein »europäischer Patriot«. Er liebe sein Land und Europa. Mit diesem Statement wollte er sich von den »linken und rechten Nationalisten« in der EU abgrenzen. »Diese wollen Europa zerstören«, sagte Timmermans. Den Konservativen warf er vor, dass sie »Europa einfrieren« wollten. Dagegen würden die Sozialdemokraten »Europa voranbringen«. Ins Detail ging Timmermans diesbezüglich nicht.
Auf europäischer Ebene hatte es lange eine informelle Große Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten gegeben. Nun hat zumindest die letztgenannte Parteienfamilie offenbar andere Pläne. Udo Bullmann sah gute Chancen, dass Timmermans nächster EU-Kommissionspräsident werden kann. Möglich werden könnte dies mit einem »Bündnis progressiver Kräfte aus Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken im nächsten Parlament«.
Das klingt sehr optimistisch. Zumal die Sozialdemokraten in den europaweiten Umfragen lediglich bei rund 20 Prozent stehen. Bei der Europawahl 2014 hatten sie noch 25,4 Prozent erreicht. Damals war der SPD-Politiker Martin Schulz der Spitzenkandidat.
Wer über den Niedergang der europäischen Sozialdemokraten spricht, muss dabei auch die niederländische Partei der Arbeit erwähnen, der Timmermans angehört. Diese rutschte bei der Parlamentswahl im vergangenen Jahr auf 5,7 Prozent der Stimmen. 2012 hatten noch 24,8 Prozent für die niederländischen Sozialdemokraten gestimmt. Während der Zeit des Niedergangs seiner Partei war Timmermans zwischen 2012 und 2014 Außenminister der Niederlande. Sein Regierungschef war der noch heute amtierende liberal-konservative Politiker Mark Rutte.
Vor vier Jahren wechselte Timmermans in die Europäische Kommission. Hier ist er als erster Vizepräsident für die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten zuständig. Timmermans legte sich immer wieder mit der rechtskonservativen Regierung in Polen an. Er kümmerte sich um das Rechtsstaatsverfahren gegen Warschau. In diesem Zusammenhang verwies der Niederländer auf die Gefahren, die er als Folge der Justizreformen in Polen sieht. Dort würde nämlich der politische Einfluss auf die Gerichte wachsen.
Allerdings treten die Sozialdemokraten nicht überall in Europa als Gegner der aufstrebenden rechten Parteien auf. So besteht eine Koalition der SPÖ mit der FPÖ im österreichischen Burgenland und die Sozialdemokraten in Bratislava kooperieren mit der rechtsnationalistischen Slowakischen Nationalpartei SNS. Das von Timmermans und seinen Genossen oft beschworene sozialdemokratische Bollwerk gegen Nationalismus und Rechtsextremismus weist also einige Lücken auf.
In der SPD hatte am Sonntag ein anderes Thema für Unmut gesorgt. Es ging um die Listenplätze für die Europawahl. Der Vorstand wollte gegen das Votum einiger Landesverbände jüngeren Kandidatinnen aussichtsreiche Plätze geben. Um interne Streitigkeiten zu vermeiden, wurde die Liste noch einmal überarbeitet. Kurz vor der Konferenz hatte etwa die 33-jährige Luisa Boos ihren Verzicht auf einen aussichtsreichen Platz erklärt. Dagegen wurde die 64-jährige Vizepräsidentin des Europaparlaments, Evelyne Gebhardt, weiter vorn platziert. Die Delegierten nahmen die überarbeitete Liste der SPD-Führung an.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.