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Empörung und Zustimmung zu Kompromiss beim Paragrafen 219a
Vorschlag zu »Ergänzung« soll im Januar vorgelegt werden / Grüne: Paragraf muss aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden
Frankfurt am Main. Der nach monatelangen Gesprächen zwischen Union und SPD erzielte Kompromiss über Veränderungen beim Informationsverbot für Abtreibungen stößt auf ein geteiltes Echo. Die Grünen-Fraktion im Bundestag äußerte scharfe Kritik, die neue CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer lobte die Einigung.
Die Grünen bezeichneten den Kompromiss als einen »unausgegorenen Vorschlag«. Der Paragraf 219a müsse aus dem Strafgesetzbuch gestrichen, und es müssten klare Regelungen zur Informationsfreiheit gefunden werden, erklärten die frauenpolitische Sprecherin Ulle Schauws und Katja Keul, Sprecherin für Rechtspolitik.
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, sagte am Donnerstag im Deutschlandfunk, er sehe die Chance, das Thema im Interesse von Frauen und Ärzten zu lösen. Niemand wolle für Schwangerschaftsabbrüche werben, stellte er klar. Aber schwangere Frauen müssten sich aber über das Verfahren informieren können. Zugleich sprach sich Montgomery dafür aus, die Emotionen in der Debatte zu dämpfen. »Keine Frau auf der Welt entscheidet sich für den Schwangerschaftsabbruch, weil so ein schönes buntes Poster im Internet stand«, sagte er.
Die fünf Regierungsvertreter, die bis zum Mittwochabend um eine Einigung gerungen hatten, wollen ein Recht zur Information über Ärzte und Einrichtungen gesetzlich verankern, die Abtreibungen vornehmen. Laut dem Einigungspapier soll im Januar ein Vorschlag zur Ergänzung des Paragrafen 219a im Strafgesetzbuch vorgelegt werden. Er würde damit nicht abgeschafft, wie es die SPD und weite Teile der Opposition gefordert hatten.
Um den Kompromiss wurde innerhalb der Bundesregierung lange gerungen. Verhandelt wurde er von Justizministerin Katarina Barley, Familienministerin Franziska Giffey (beide SPD), Innenminister Horst Seehofer (CSU), Gesundheitsminister Jens Spahn und Kanzleramtschef Helge Braun (beide CDU).
»Frauen, die sich letztlich für einen Schwangerschaftsabbruch entschieden haben, sollen einen Arzt oder eine medizinische Einrichtung finden können, in der sie den Eingriff vornehmen lassen können«, heißt in dem Einigungspapier. Demnach sollen die Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mit der Aufgabe betraut werden, Kontaktinformationen zur Verfügung zu stellen, soweit die Ärzte und Krankenhäuser eingewilligt haben. Um Ärzten mehr Rechtssicherheit zu geben, soll »rechtlich ausformuliert« werden, dass sie sowie Krankenhäuser über die Tatsache informieren können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und auf Informationen zu den entsprechenden Stellen hinweisen dürfen. Zum Paket der Einigung gehört auch eine Änderung des Schwangerenkonfliktgesetzes, die noch nicht im Detail benannt wird.
Der Paragraf 219a stellt sogenannte Werbung für Abtreibungen unter Strafe - das umfasst bislang auch simple Information. Gerichte hatten deshalb Ärzte verurteilt, die auf ihrer Website darüber informierten, dass sie Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Die Verurteilung der Gießener Ärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe hatte die Debatte vor gut einem Jahr breit entfacht. Seitdem wurde in der Koalition um eine Gesetzesreform gerungen.
Hänel selbst kritisierte die Einigung am Mittwochabend. »Das ist kein Kompromiss. Das heißt: der #219a soll bleiben«, schrieb sie im Kurznachrichtendienst Twitter. Nun solle also der Staat informieren, doch das hätte dieser längst gekonnt, wenn er gewollt hätte, erklärte Hähnel. Die Maßnahmen, die die Situation verbessern sollten, seien nur »flankierende Maßnahmen«, die am Grundproblem nichts ändern würden. Weitere Punkte des Papiers seien nur »Willenserklärungen«. Hähnel kritisiert zudem in einer Erklärung das mit der Forderung nach einer Studie zu den psychologischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen die Ideologie von Abtreibungsgegnern in das Papier aufgenommen worden sei. Die »einschlägige Fachliteratur« zeige es gebe die von Abtreibungsgegnern vorgebrachte »Post-Abortion-Syndrom« nicht. Das zeigt auch eine Handreichung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Studien würden zu dem Schluß kommen das es kein erhöhtes Risiko für psychische Schäden nach einer Abtreibung gebe. Hähnel hatte vehement für die Abschaffung des Paragrafen plädiert. In sozialen Medien wurde die Einigung von vielen Frauen empört kommentiert. Nach neun Monaten Wartezeit sei das eine »Riesenentäuschung«, twitterte die Frauenärztin Nora Szasz.
Die Chefs der Koalitionsfraktionen äußerten sich in ersten Reaktionen zurückhaltend und wollen die Details abwarten. Es sei gut, dass es einen Kompromissvorschlag gebe, erklärte die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) sagte, dies sei ein erster Schritt zur Klärung. »Die Koalitionsfraktionen warten nun die weitere Konkretisierung der angesprochenen Punkte ab«, erklärte Brinkhaus.
»Für uns als CDU ist es besonders wichtig, dass der Paragraf 219a nicht abgeschafft wird. Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch bleibt verboten«, heißt es in einer Erklärung der CDU vom Mittwochabend in Berlin. Mit der jetzt in Aussicht gestellten Regelung werde sich die CDU intensiv befassen, sobald der genaue Gesetzesvorschlag vorliegt. »Dabei werden wir insbesondere Wert darauf legen, dass durch die Vorschläge keine Abschaffung des Werbeverbots durch die Hintertür erfolgt«, heißt es in der Mitteilung. epd/nd
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