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Rechtsstaat und Knast
Volkmar Schöneburg zur Schaffung von Stellen im Justizvollzugsdienst
1946 erschien in der »Süddeutschen Juristen-Zeitung« ein noch heute viel diskutierter Aufsatz »Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht«. Er stammt aus der Feder des ehemaligen Reichsjustizministers Gustav Radbruch und ist die rechtsphilosophische Verarbeitung der Erfahrungen aus zwölf Jahren Nazidiktatur, die wahrlich kein »Vogelschiss« waren. Im Zentrum des Artikels steht natürlich die berühmte »Radbruch'sche Formel«. Aber ich möchte die Aufmerksamkeit auf eine andere Stelle richten. Da heißt es zugegebener Maßen etwas pathetisch: Der Rechtsstaat sei wie das tägliche Brot, wie Wasser zum Trinken, wie Luft zum Atmen. Und dann folgt der hier entscheidende Satz: Nur die Demokratie sei geeignet, den Rechtsstaat zu sichern. An anderer Stelle formuliert Radbruch sogar, dass Demokratie und Rechtsstaat die Voraussetzung jeder sozialistischen Entwicklung sind.
Die Sicherung des Rechtsstaates ist jedoch kein Selbstläufer. In der letzten Legislaturperiode führten wir heftige Debatten im Landtag zur Neuausrichtung der Sicherungsverwahrung und des Strafvollzugs, zu Gerichtsstandorten oder zu den Verfahrenslaufzeiten. Wenn ich die letzten vier Jahre Revue passieren lasse, so fällt mir keine relevante rechtspolitische Debatte ein. Das kann zwei Gründe haben: Es kann sein, dass Justiz und Rechtsstaat geräuschlos funktionieren. Es kann aber auch sein, dass die Bedeutung des Rechtsstaates als Strukturprinzip durch die Politik einfach unterschätzt oder als Hemmnis angesehen wird. Dazu tendiere ich. Ich glaube auch, dass die Bedeutung des Rechtsstaates noch zunimmt und daher, um bei Radbruch zu bleiben, die Demokratie erhöhte Anstrengungen unternehmen muss, ihn zu sichern. Denn ohne strikte Gewaltentrennung und -kontrolle bleibt Freiheit eine Worthülse. Die Tendenz ist aber eine andere. Der Bundestag produziert zunehmend unbestimmte Strafrechtsnormen. Zugleich wird die Justiz mit präventiv-gestaltenden Steuerungsaufgaben überfordert. Es gibt kaum ein gesellschaftliches Problem wie Umweltbelastungen oder Drogenkonsum, für das nicht eine strafrechtliche Lösung angeboten wird. Strukturveränderungen geht die Politik in der Regel nicht an.
Durch beide Phänomene verstößt der Gesetzgeber gegen das Fundament des Rechtsstaates, nämlich das Gesetzlichkeitsprinzip und den Gewaltenteilungsgrundsatz. Auf die damit einhergehende Ressourcenknappheit in der Justiz wird durch die Exekutive mit Rationalisierung reagiert. So führen gehaltlose Gesetze und Rationalisierung zur Einschränkung der Rolle der Justiz, die Rechtssachen unabhängig entscheiden soll.
Insofern ist der brandenburgische Doppelhaushalt 2019/20 mit seiner beträchtlichen Erhöhung des Personaletats für Richter, Staatsanwälte, aber auch für Mitarbeiter des mittleren Dienstes eine erste Anstrengung der Demokratie zur Sicherung des Rechtsstaates und hoffentlich ein Zeichen des Umdenkens. Denn im Großen gesehen, bedarf es gerade vor dem Hintergrund entfesselter Finanz- und Wirtschaftssysteme einer Aufwertung der Dritten Gewalt im Sinne einer sozialen und rechtsstaatlichen Entscheidungsmacht.
Rechtsstaat bedeutet jedoch auch die Eigenständigkeit der Rechtsform gegenüber der Politik. Das Recht ist nicht nur Mittel der Politik, sondern auch deren Maßstab.
Dieser Gedanke führt mich zu einem zweiten, haushaltsrelevanten Punkt. 2013 verabschiedete der Landtag ein Justizvollzugsgesetz, das den »Knast« stärker am Resozialisierungsauftrag der Landesverfassung (Artikel 54) orientieren sollte. Nun ist ja der Strafvollzug per se kein Ort des sozialen Lernens, wovon die hohen Rückfallzahlen Zeugnis ablegen. So, wie es schwierig ist, einem Nichtschwimmer das Schwimmen auf dem Trockenen beizubringen, so ist es schwierig, einen Menschen unter den Bedingungen der Unfreiheit zu einem gesetzeskonformen Leben in Freiheit zu befähigen. Das Gefängnis ist nämlich zuerst ein Ort der Fremdbestimmung, der Machtdemonstrationen, der Gewalt, der Vereinsamung, der unterdrückten Sexualität, der Verrohung. Mit dem vor fünf Jahren erlassenen Gesetz sollten demgegenüber die Resozialisierung und die Rechte der Gefangenen gestärkt werden. Dem dienen beispielhaft die Erhöhung der Besuchszeit, der Anspruch auf Langzeitbesuch, die Senkung der Hürden für Lockerungsentscheidungen oder die Stärkung des Offenen Vollzugs. Frühzeitig muss die Entlassung der Gefangenen in den Blick genommen werden, da insbesondere Arbeit und Wohnung elementare Voraussetzungen für eine gelingende Wiedereingliederung sind.
Im Sinne des Gesetzes ist etwas in den Gefängnissen entstanden, etwa das Übergangsprojekt in Neuruppin-Wulkow oder das »Knastradio Ruppich«. Aber vieles liegt im Argen. Das hat verschiedene Gründe. Einerseits müssen die Beamten auch den Willen besitzen, die Ziele des Gesetzes durchzusetzen. So erschließt es sich nicht, warum die Belegung des Offenen Vollzugs der einzelnen Anstalten zwischen 50 und 90 Prozent liegt. Andererseits benötigt der Strafvollzug für die Umsetzung des Gesetzes auch das nötige, gut ausgebildete Personal. Jedoch wurde bis heute kontinuierlich Personal abgebaut. Begründet wurde dies teils mit der im Vergleich zu anderen Bundesländern guten Personalausstattung. Unbeachtet blieben dabei die mit dem Gesetz geregelten erhöhten sozialen Anforderungen an den Vollzug.
Mit dem vorliegenden Haushalt ist der Personalabbau erstmals wirklich gestoppt worden. Mit 32 neu zu schaffenden Stellen wird eine beachtliche Trendwende vollzogen. Statt der jetzt 952 Mitarbeiter werden zukünftig 984 in den brandenburgischen Gefängnissen arbeiten. Fachleute sagen, etwas über 1000 Bedienstete wären notwendig. Mit dem Haushalt gehen wir also in die richtige Richtung. Es ist ein erster Schritt.
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