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Olympischer Knock-Out
Das IOC geht gegen den Boxweltverband vor und setzt die Olympiaqualifikation aus.
Die AIBA schwankt und ist schwer angezählt. Und das nicht zum ersten Mal. Der Weltverband der Amateurboxer liegt nur noch nicht am Boden, weil das Internationale Olympische Komitee (IOC) auf seiner Session im Oktober in Buenos Aires noch auf den endgültigen K.o.-Schlag verzichtet hatte. Dennoch bestätigt Jürgen Kyas: »Die Gesamtsituation in der AIBA ist enttäuschend bis unerträglich.« Kyas ist nicht nur Präsident des Deutschen Boxsport-Verbands (DBV). Seit neun Jahren ist er auch Mitglied der AIBA-Exekutive.
Das IOC hat mit drastischen Maßnahmen auf die dubiosen Zustände im Boxweltverband reagiert. Die AIBA hat gerade den umstrittenen Gafur Rachimow zum Präsidenten gewählt. Schon zuvor bestimmten jahrelang Schlagzeilen über Korruptionsaffären und finanzielle Unregelmäßigkeiten ihre Arbeit. Man sei »extrem besorgt«, heißt es vom IOC, das Rachimow in Argentinien zur unerwünschten Person erklärt hatte und Anfang Dezember in Lausanne ankündigte, das olympische Boxprogramm 2020 in Tokio notfalls auch ohne die AIBA zu veranstalten. Die Olympiaqualifikation und alle weiteren Planungen wurden vom IOC vorerst ausgesetzt. Der AIBA wurden zudem Kontakte zu den Olympiaorganisatoren in Tokio untersagt. Eine Untersuchungskommission soll den Verband überprüfen, vor allem die jüngste Präsidentenwahl und das finanzielle Missmanagement, das zu rund 30 Millionen Euro Schulden geführt hat.
Einmal mehr steckt die AIBA also in einer schweren Krise. Bei den Präsidentschaftswahlen Anfang November in Moskau hatte sich der Usbeke Rachimow gegen den Vizepräsidenten Serik Konakbajew aus Kasachstan durchgesetzt. Der ehemalige Europameister und Olympiazweite von 1980 hatte kurzfristig seinen Hut in den Ring geworfen. Doch seinen Namen auf den Wahlzetteln musste er einklagen, denn die AIBA-Oberen wollten Konakbajew nicht zulassen - mit fadenscheinigen Begründungen: So hätte Konakbajew die nötigen Unterstützerbriefe angeblich zu spät eingereicht. Der Internationale Sportgerichtshof CAS gab ihm schließlich recht. Bei der Wahl scheiterte der Herausforderer aber.
Die Wahl Rachimows, der 86 von 134 Stimmen erhielt, ist kein Ruhmesblatt für die AIBA, denn den neuen Mann an der Spitze umgeben seit Langem schwere Vorwürfe über seine Verbindungen zur organisierten Kriminalität. Der Mann aus Taschkent, der neben dem usbekischen auch einen russischen Pass besitzt, sei laut Ermittlern des US-Finanzministeriums »einer der wichtigsten Figuren im globalen Heroinhandel«, weshalb er seit 2012 auf einer Sanktionsliste mutmaßlicher Mafiosi steht, dessen Geschäfte und Konten eingefroren wurden. Solch einen Mann wollte das IOC eigentlich nicht an der Spitze eines olympischen Dachverbandes sehen.
Korruption, Bestechung und Manipulation von Kampfrichterentscheidungen sowie umstrittene Wahlen überschatten seit Jahrzehnten den Boxverband. Als 1986 der Pakistaner Anwar Chowdhry an die Spitze rückte, ging das auf das Betreiben und die erhebliche Einflussnahme des damaligen Adidas-Chefs Horst Dassler zurück - Chowdhry war langjähriger Adidas-Angestellter. Im Alter von 83 Jahren musste er nach 20-jähriger Regentschaft gehen, es war das Ende des dunkelsten Kapitel der AIBA-Geschichte.
Aber auch unter Nachfolger Wu Ching-Kuo aus Taiwan wandelte sich das Bild kaum. Als »Erneuerer« gefeiert, häuften sich in seiner Amtszeit von 2006 bis 2017 Verbindlichkeiten in Höhe von 30 Millionen Euro an, wobei bis heute nicht geklärt ist, in welche Taschen das Geld floss. Im Oktober 2017 zog die AIBA die Reißleine und sperrte Wu »wegen Misswirtschaft« auf Lebenszeit. Kurios: Wu blieb dennoch IOC-Mitglied, er verlor dort nur seinen Platz in der Exekutive.
Wie skandalös die Dinge hinter den Kulissen der AIBA laufen, verdeutlicht auch der Fall von Ho Kim: Bis 2015 war der Südkoreaner Generaldirektor des Verbands, dann wurde er von Wu entlassen. Kim revanchierte sich, indem er entlarvende Dokumente über finanzielle Unregelmäßigkeiten veröffentlichte. Das war der Anfang vom Ende des Präsidenten Wu. Kim wiederum wurde lebenslänglich aus der AIBA ausgeschlossen. Das hinderte ihn jedoch nicht daran, als Berater des Herausforderers Konakbajew bei der jüngsten Präsidentenwahl aufzutreten. Die Unterstützer Rachimows schlossen kurz vor der Wahl einen Deal mit Kim. Seine Sperre sollte aufgehoben werden gegen das Versprechen, die Tätigkeit als Wahlkampfmanager Konakbajews einzustellen. Kim willigte ein und ist seither rehabiliiert.
Mit dem Rausschmiss von Wu Ching-Kuo hatte die Stunde des 67-jährigen Rachimow geschlagen. Der langjährige Vizepräsident wurde im Januar 2018 als Nachfolger des nur kurz amtierenden Italieners Franco Falcinelli zum Interimspräsident gewählt und ließ sich fortan als »Erlöser« feiern. Kaum ein Funktionär störte sich daran, dass Rachimow schon Mitte der 1990er Jahre einen Großteil des Drogenhandels in den ehemaligen mittelasiatischen Sowjetrepubliken kontrolliert gehabt haben soll. Kaum einer erinnerte sich, dass Rachimow die Einreise zu den Olympischen Spielen 2000 in Sydney verweigert worden war. Australiens damaliger Premierminister John Howard hatte ihn als »Gefahr für die Sicherheit des australischen Volkes« bezeichnet. Die IOC-Führung unter Präsident Juan Antonio Samaranch hatte sich damals noch für den Usbeken stark gemacht. 18 Jahre später ist das nun offensichtlich anders.
Der neue AIBA-Präsident bestreitet alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe und reklamiert, dass er »nie rechtskräftig verurteilt« worden sei. Zudem habe er bereits etliche Verleumdungsklagen gewonnen. Zum Amtsantritt versprach Rachimow »Transparenz, Integrität und Demokratie«. Der Glaube daran ist schwach. Tiefgreifende Reformen - ob sportlich, finanziell oder organisatorisch - scheinen in der AIBA so gut wie unmöglich. Wie oft wurde das Punktrichtersystem schon geändert, und trotzdem wurden weiterhin olympische Boxkämpfe verschoben, egal ob 1988 in Seoul oder 2016 in Rio de Janeiro.
Nun geht unter Amateuren die Angst um, das seit 1904 zu Olympia gehörende Boxen könnte 2020 komplett gestrichen werden. Vermutlich wird das IOC aber den olympischen K.o. vermeiden, auch wenn sein Präsident Thomas Bach eine Bestandsgarantie zunächst abgelehnt hat. Zur Not sei auch ein Turnier ohne die AIBA denkbar, womöglich nur unter dem Patronat des IOC - das wäre ein Novum. DBV-Präsident Jürgen Kyas beklagt jedoch schon jetzt die Aussetzung der Qualifikation, sieht darin »eine Bestrafung der Boxer« und fordert für sie ein »faires Zeitfenster«. Beim bekannten Tempo des IOC dürfte das jedoch ziemlich klein ausfallen.
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