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Mit dem Strom - aber anders
Arwen Colell will das Berliner Elektrizitätsnetz übernehmen
Es ist ein ganz normaler Tag im Frühjahr 2011, als Arwen Colell mit dem Fahrrad durch die Stadt fährt und ihr Telefon klingelt. Ihre Freundin Luise Neumann-Cosel ist am Apparat, die beiden kennen sich von den Chorproben. In den letzten Tagen haben sie öfter über das Auslaufen der Stromnetz-Konzession von Vattenfall 2014 geredet. Sie ärgerten sich darüber, dass es in der Stadt damals keine öffentliche Debatte zu dem Thema gab. Luise Neumann-Cosel ist Aktivistin der Anti-Atom-Bewegung und keine Frau langer Diskussionen. Arwen Colell auch nicht.
Colell erzählt, in einem kleinen Süßwarenladen in Schöneberg sitzend, amüsiert von einem Telefonat: »Luise sagte, ›Arwen, ich habe noch mal über diese Stromnetz-Sache nachgedacht. Ich habe mir gedacht, wir kaufen das vielleicht am besten‹. Und ich sagte: ›Ich bin auf dem Fahrrad, warte mal kurz, ich muss rechts ran fahren‹«. Colell muss heute noch über die Situation von damals lachen. Die Episode erzählt sie gerne, weil sie zeigt, wie unvoreingenommen die Frauen nach einer Möglichkeit suchten, nicht nur eine öffentliche Debatte zu entfachen, sondern »tatsächlich einen Fuß in die Tür zu setzen«.
Arwen Colell wurde 1987 in Berlin-Charlottenburg geboren. Schon früh kam sie durch ihre Familie in Kontakt mit Musik, entschied sich aber für ein Studium der Politikwissenschaft an der Freien Universität. Später arbeitete Colell für das Energie-Startup »ubitricity« - heute eine Firma mit rund 60 Mitarbeitern, die mit ausgefeilter Hardware versucht, beispielsweise Elektroautos als Speicher in das Energienetz zu integrieren. Colell leitete dort Feldtests. Im Umweltministerium blieb sie nur kurz, die Wege dort waren ihr zu lang und bürokratisch. »Ich arbeite gerne eigenverantwortlich und möchte Dinge schnell umsetzen«, sagt die 31-Jährige. Den nötigen Mut, den sie in der Umweltpolitik international als auch national vermisst, zeigte sie, als sie die Telefonidee in die Tat umsetzte und 2011 die Bürgerenergie Berlin (BEB) mitgründete.
Erste und wichtige Hilfestellung bekam die BEB vom genossenschaftlich aufgestellten Energieversorger EWS in Schönau. Colell und ihre Mitgründer riefen dort an und fragten: »Wir würden gerne so was Ähnliches machen wie ihr, nur ein bisschen größer. Ist das komplett wahnsinnig?« Am anderen Ende der Leitung herrschte kurze Stille, bis die Antwort kam: »Das ist natürlich komplett wahnsinnig, weil das Berliner Netz riesengroß ist und das bundesweit größte Verteilnetz - aber das machen wir auf jeden Fall!« Wissen, Erfahrung, Mut und eine ähnliche Entschlossenheit wie die ihre fanden Colell und Neumann-Cosel also im Luftkurort Schönau im Südwesten Deutschlands. Bis heute sind die EWS der BEB verbunden und der ein oder andere »Sonnencent« floss bisher als Förderung von Schönau nach Berlin.
Bald stand die junge Genossenschaft mit vielen ehrenamtlichen Mitgliedern vor einer Aufgabe, die größer war, als erwartet. Das Verfahren zur Neuvergabe der Konzession war angelaufen und das Angebot der BEB musste erstellt werden. Arwen Colell leidet noch heute sichtlich, wenn sie an die Aktenordner denkt, die das größtenteils unerfahrene Team mit Hunderten beschriebenen Seiten füllte, bevor sie merkten, dass ein Angebot von Ehrenamtlichen nicht zulässig ist und übergangsweise Luise Neumann-Cosel angestellt werden musste. »Da war unheimlich viel Wissen gefragt, das wir uns erarbeiten mussten«, erinnert sich Colell. »Aber es war auch der Teil, in dem wir tatsächlich zeigen konnten, was wir machen wollen und wo wir die Veränderung in der Stadt sehen.« Unterstützt wurden sie unter anderem von EWS, den Stadtwerken Schwäbisch-Hall und von der GLS-Bank.
Doch die größte Bewährungsprobe für die Genossenschaft folgte nach dem beschriebenen Kraftakt und der Abgabe des endgültigen Angebots 2016. Denn im April 2017 rügte Vattenfall den Kriterienkatalog des Senats an 200 Stellen und provozierte so einen anderthalb Jahre anhaltenden Rechtsstreit, den das Kammergericht Berlin erst Ende September 2018 mit einer Abweisung beendete. Nun soll noch im Januar 2019 entschieden werden, wer das Netz zukünftig betreiben darf. Allerdings könnte der Unterlegene auch gegen diese Entscheidung wieder Klage erheben. Colell: »Man wartet und wartet. Und dann wird wieder eine Möglichkeit zum Rügen gegeben und dann wartet man wieder. Das ist für eine Organisation wie unsere extrem zermürbend.« In dieser Phase sei es viel darum gegangen, »diesen Geist nicht zu verlieren, dass wir wirklich Dinge tun können, um die Gesellschaft zu verändern«.
Beim Stichwort Gesellschaftsveränderung denkt Colell vor allem an Partizipation: Menschen sollten selbst »über die Strukturen mitbestimmen, die sie täglich umgeben«. Dafür seinen beispielsweise Genossenschaften sehr gut geeignet. Seit die 31-Jährige zwei eigene Kinder hat, stelle sich für sie die Frage der Veränderung der Gesellschaft in neuer Dringlichkeit: »Wir tun gerade so viele Dinge, die drastische Auswirkungen auf die Welt haben, in der unsere Kinder leben werden, dass man das Gefühl haben muss, das zu ändern - und zwar jetzt sofort und so schnell wie man kann. Aber gleichzeitig sollten wir die Politik nicht aus der Verantwortung entlassen.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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