»Dann schafft es ein ganz anderer«

Skisprung-Bundestrainer Werner Schuster will endlich einen deutschen Vierschanzentourneesieger präsentieren

  • Lars Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Ausgangssituation vor der Vierschanzentournee ist eine andere als in den vergangenen Jahren. Die Hoffnungsträger heißen mal nicht Andreas Wellinger, Richard Freitag oder Severin Freund, sondern eher Karl Geiger oder Stephan Leyhe. Wie kommt das?

Das ist tatsächlich eine eigenartige Situation mit vielen neuen Namen. Das gilt übrigens auch international: Der große Favorit ist zweifellos Ryoyu Kobayashi. Bei uns gibt es diesmal eine ganz spezielle Dynamik im Team: In den letzten Jahren haben Andreas Wellinger oder Richard Freitag spätestens in der Herbstvorbereitung das Zepter in die Hand genommen. Das war dieses Mal nicht so. Karl Geiger und Stephan Leyhe sind im Saisonverlauf einfach saugut gesprungen. Das habe ich so nicht erwartet, umso schöner ist es. Beide gehören zurecht zum erweiterten Kreis der Mitfavoriten bei der Tournee.

Zur Person

Werner Schuster hat die deutschen Skispringer in inzwischen fast elf Jahren Amtszeit als Bundestrainer zu fast allen großen Titeln geführt: Olympiasieger, Gesamtweltcupsieger, Weltmeister, Skiflugweltmeister, beste Nation. Der Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee fehlt allerdings noch in seiner Sammlung.

Vor dem Start der 67. Auflage des Grand Slams der Skispringer am Wochenende in Oberstdorf sprach der Österreich mit Lars Becker über die Chancen des deutschen Teams, die Favoriten der Tournee, die Erfolgsgeheimnisse seiner Aufsteiger Karl Geiger und Stephan Leyhe, und warum am Ende vielleicht ein Nobody den ersten deutschen Tourneesieg seit 17 Jahren feiern könnte.

Trauen Sie Karl Geiger den Gesamtsieg zu?

Selbstverständlich! Ich wäre doch ein schlechter Trainer, wenn ich das nicht täte. Die Ergebnisse sprechen zudem eine deutliche Sprache: In den letzten drei Springen vor der Tournee ist Karl immer unter den Top 5 gelandet und hat in Engelberg seinen ersten Weltcupsieg gefeiert. Das hat der ganzen Mannschaft noch einmal einen richtigen Push gegeben. Karl hat einen deutlichen Schritt nach vorn gemacht - sportlich, genauso wie mental und in der Entwicklung seiner Persönlichkeit.

Was war der Auslöser dafür?

Der Knotenlöser war die Teamsilbermedaille bei Olympia - genau wie bei Stephan Leyhe. Sie sind beide Mitte 20 und haben nach diesem Erfolgserlebnis plötzlich die Sicherheit, dass sie nach ihrer Karriere nicht mit leeren Händen dastehen werden. Das gab beiden einen riesigen Schub und stellte die sportliche Hierarchie im Team auf den Kopf.

Vor einem guten Jahrzehnt hatten die Österreicher lange keinen Tourneesieger. Schließlich beendete nicht einer der Stars wie Thomas Morgenstern oder Gregor Schlierenzauer die Durststrecke, sondern mit Wolfgang Loitzl ein Mann aus der zweiten Reihe. Kommt das im deutschen Team nun auch so?

Das würde ganz gut passen, wenn man so lange auf einen Tourneegesamtsieg wartet und dabei immer an Wellinger, Freund oder Freitag denkt. Dann schafft es am Ende ein ganz anderer. Aber so etwas kann man nicht herbeireden, das muss einfach passieren. Die Tournee hat eine Eigendynamik: Springer kommen auf eine Welle und reiten sie dann. Kamil Stoch zum Beispiel hatte im letzten Winter beim Auftaktspringen in Oberstdorf einfach einen Wahnsinnsdusel mit den äußeren Bedingungen. Andreas Wellinger dagegen hatte diese Chance nicht bekommen. Und dann hatte Stoch die Klasse, das zu nutzen. Er hat sich danach unverwundbar gefühlt und am Ende den alle Springen gewonnen. Karl Geiger ist nicht Kamil Stoch, aber auch ihm kann so etwas passieren.

Ist denn auch Andreas Wellinger etwas zuzutrauen? Bislang fehlen die konstant guten Ergebnisse.

Andi hat nach seinem Olympiasieg trotz der häufigeren PR-Termine extrem fleißig trainiert. Natürlich ist das nicht die Wunschsituation, aus der er in die Tournee geht. Aber er nimmt die Herausforderung von Karl und Stephan im Team an. Er ist auch nicht so weit weg von der Weltspitze. Wir dürfen nicht vergessen: Andi ist der Mann für die großen Dinge. Er fürchtet sich nicht mehr, wenn beim Auftaktspringen in Oberstdorf 25 000 Zuschauer schreien. Das gibt ihm Energie. Ebenfalls nicht vergessen darf man Markus Eisenbichler, der in Engelberg einen Befreiungsschlag gelandet hat. Er bestimmt im Training häufig das Niveau und kann auf allen Tourneeschanzen gut springen. Wir sind diesmal sehr breit aufgestellt, auch wenn Richard Freitag durch gesundheitliche Probleme wieder zurückgeworfen wurde. Er hatte das Niveau, wieder in der Spitze mitzuspringen. Jetzt braucht er Zeit - genau wie Severin Freund.

Der Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee fehlt Ihnen als Trainer noch. Wurmt Sie das?

Natürlich ist es ein großes Ziel, endlich wieder den Gesamtsieg nach Deutschland zu holen. Aber man muss akzeptieren, dass das zehn Tage sind, die man nicht auf den Punkt planen kann. Wir hatten am Anfang Probleme mit dieser speziellen Dynamik der Tournee, haben es aber in den letzten Jahren gut hinbekommen. Immerhin waren wir zweimal Zweiter. Damals scheiterten Freund und Wellinger jeweils an aktuellen Überfliegern: Peter Prevc und Kamil Stoch. Es gibt nur zwei Möglichkeiten für uns: Entweder wir haben selbst mal einen solchen Überflieger bei der Tournee, oder wir nutzen die Gunst der Stunde.

Was zeichnet den momentanen Überflieger Ryoyu Kobayashi aus?

Er ist schon immer sehr gut abgesprungen, aber konnte die Energie nicht so richtig in den Flug transportieren. Jetzt hat er einen Weg gefunden. Wenn er einen guten Sprung erwischt, ist er ein paar Meter besser als alle anderen. Aber auch er ist nur ein Mensch. In den vergangenen beiden Jahren gab es mit Domen Prevc und Richard Freitag auch solche Topflieger vor der Tournee - und beide haben es dann nicht geschafft. Daher haben auch die Polen mit dem stabilen Zyla und natürlich Kamil Stoch eine Chance, genauso wie die Norweger und Österreicher - und natürlich auch wir.

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