Angst vor der »gelben Gefahr«
Im Gegensatz zur Politik schätzen deutsche Unternehmer und Beschäftigte chinesische Investoren durchaus
Um die heimische Wirtschaft stärker zu schützen, verschärft die Bundesregierung den Kurs gegenüber ausländischen Investoren. Die Abwehr von »Ausschlachtungsstrategien« und drohendem »Technologietransfer« sei gefordert.
Im Fokus der Kritik steht dabei nicht das »Heuschreckengebaren« aktivistischer Aktionäre wie beispielsweise das des schwedischen Fonds »Cevian Capital« oder des US-Hedgefonds »Elliott Management« von Paul Singer, die die Aufteilung des Ruhrgebiets-Konzerns Thyssenkrupp vorangetrieben haben. Gemeint ist auch nicht der größte Hedgefonds der westlichen Welt, Blackrock, der allein in Deutschland an 189 Firmen mit einem Finanzvolumen von rund 132 Milliarden Euro beteiligt ist, darunter Schlüsselunternehmen wie Bayer (10,4 Milliarden), Allianz (10 Milliarden), SAP (9,6 Milliarden) und Siemens (9,4 Milliarden).
Im Visier ist die »gelbe Gefahr« aus dem Reich der Mitte, sprich »staatlich gelenkte«, strategische Firmenübernahmen durch chinesische Investoren. Dabei sind chinesische Unternehmen nur die viertgrößte Investorengruppe in Deutschland, hinter den Schweizern, den Briten und weit hinter US-amerikanischen Firmen bzw. Investmentgesellschaften.
Im Bundeswirtschaftsministerium wird aktuell daran gearbeitet, die erst 2017 angepasste Außenwirtschaftsverordnung zu verschärfen. Für die Übernahme deutscher Firmen durch ausländische Investoren hat Wirtschaftsminister Peter Altmaier höhere Hürden angekündigt. So soll künftig eine 15-prozentige Übernahme (bisher 25 Prozent) inländischer Unternehmen aus »sensiblen Wirtschaftsbereichen« wie Schlüsseltechnologien, Infrastruktur und sicherheitsrelevanten Industrien die Bundesregierung zu einer Überprüfung (und Ablehnung) des Erwerbsplans berechtigen.
»Es ist dringend notwendig, dass wir noch in diesem Jahr EU-weit ein schärferes gesetzliches Instrument an die Hand bekommen, um Übernahmefantasien sowie Technologie- und Know-how-Abfluss wirksam entgegenzutreten«, warnte beizeiten Matthias Machnig, der im April als Staatssekretär aus dem Bundeswirtschaftsministerium ausschied und nun bei InnoEnergy für die europäische Batteriezellenfertigung, zugleich ein strategisches Projekt seines alten Ministeriums, zuständig ist.
In den letzten 15 Jahren haben chinesische Investoren vermehrt deutsche Firmen aufgekauft, die über Schlüsseltechnologien verfügen. Ein Großteil der Übernahmen hat im Maschinenbau, in der Automobilbranche und der Umwelttechnik stattgefunden.
Sehen sich die deutschen Maschinenbauer deshalb als Opfer eines Ausverkaufs bzw. als Selbstbedienungsladen chinesischer Einkäufer? Während Minister Altmaier in Berlin die Ressortabstimmung innerhalb der Regierung eingeleitet hat, mit der Absicht, die Verschärfung der Außenwirtschaftsverordnung bis Ende dieses Jahres umzusetzen, feierten im rund 450 Kilometer südlicher gelegenen Amberg in der Oberpfalz Vorstand, Aufsichtsrat und Betriebsrat beim bayerischen Autositzeproduzenten Grammer AG den chinesischen Investor Ningbo Jifeng als Retter.
Sie fühlten sich von der Investmentgesellschaft Cascade befreit, hinter der die Prevent-Gruppe des bosnischen Unternehmers Nijaz Hastor steht, dem »Schrecken der Automobilindustrie«. Cascade hatte versucht, über verdeckte Aktienkäufe die Kontrolle über Grammer zu erlangen. Nachdem die Gesellschaft 20 Prozent der Anteile zusammengekauft hatte, beantragte sie auf der Grammer-Hauptversammlung im Mai dieses Jahres die Absetzung des Vorstands, um die vollständige Übernahme einleiten zu können. Dieser Plan scheiterte am Widerstand der Aktionäre, die alle Cascade-Anträge niederstimmten. Wenig später legte die Wang-Familie, die zu dieser Zeit über Ningbo Jifeng bereits etwa ein Viertel der Grammer-Anteile besaß, ein Übernahmeangebot in Höhe von rund 772 Millionen Euro vor. Daraufhin kündigte die Hastor-Familie an, man werde sich von der gut 19-prozentigen Beteiligung an Grammer trennen. Ningbo Jifeng hält jetzt 84 Prozent der Aktien, die Eigenständigkeit hat sich die Gesellschaft - nach dem Vorbild des Augsburger Maschinenbauers Kuka - über den Abschluss einer Investorenvereinbarung gesichert.
Jahrzehntelang war die Volksrepublik China in Sachen Direktinvestitionen vor allem ein Empfängerland. Dies hat sich seit Anfang der 2000er Jahre verändert. Insbesondere, seit die Regierung in Beijing 2015 den Masterplan »Made in China 2025« beschlossen hat mit dem Ziel, in den kommenden Jahren unter anderem auch durch gezielte Zukäufe wichtige Schlüsseltechnologien in den Feldern Maschinen- und Anlagenbau, Robotik und Biomedizin zu entwickeln und zu nutzen. Gegenwärtig sind mehr als 20 000 chinesische Investoren bei gut 30 000 Firmen in 188 Ländern aktiv.
In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der deutschen Firmen, in die sich chinesische Investoren eingekauft haben, sprunghaft angestiegen. Während die Unternehmensberatung Ernst & Young im Jahr 2013 nur etwa 25 chinesische Beteiligungen verzeichnete, gab es nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung im Jahr 2017 fast doppelt so viele Fälle, in denen chinesische Unternehmen mehr als zehn Prozent der Firmenanteile übernommen haben. Inzwischen ist die Bundesrepublik das drittgrößte Zielland für ausländische Direktinvestitionen aus China in der Europäischen Union (EU).
Wichtige Gründe für chinesische Unternehmen hierzulande zu investieren, sind der Zugang zum deutschen und europäischen Markt, qualifizierte Arbeitskräfte, Technologieerwerb und das Qualitätsversprechen »Made in Germany«. Die Investoren aus Ostasien überwiesen umgerechnet 11,2 Milliarden Euro - knapp eine Milliarde mehr als 2016. Damit erreichte der Wert der Investitionen laut Ernst & Young ein neues Rekordniveau.
Zu den bekanntesten Übernahmefällen zählen der Wiesbadener Gabelstaplerspezialist Kion, der Maschinenbauer Krauss-Maffei in München, der baden-württembergische Betonpumpen-Weltmarktführer Putzmeister, der Amberger Automobil-Zulieferer Grammer und der Augsburger Industrieroboterhersteller Kuka, der für 4,5 Milliarden Euro von der südchinesischen Midea Group übernommen wurde. Der chinesische Mischkonzern HNA kaufte sich bei der Deutschen Bank ein, und der chinesische Automobil- und Motorradhersteller Geely hat fast zehn Prozent der Daimler-Aktien gekauft. Cora Jungbluth konstatiert in ihrer Bertelsmann Studie eine Win-Win-Konstellation: »Deutschland und China profitieren erheblich von ihren bilateralen Investitions- und Handelsbeziehungen.« Es sei im Interesse beider Länder, gegenseitige Investitionen zu fördern und Investoren aus dem jeweils anderen Land bestmöglich zu unterstützen.
Bei Übernahmen durch chinesische Investoren gibt es nicht nur die Sorgen, dass das übernommene Unternehmen zerlegt wird und das vorhandene Knowhow abfließt, sondern dass auch Arbeitsplätze abgebaut und wegen der Lohnkostenvorteile nach China verlagert sowie an deutschen Standorten die Tarif- und Sozialstandards abgesenkt werden. Doch anders als es Beschäftigte immer wieder erleben, deren Firmen von westlichen Finanzinvestoren geschluckt wurden, setzen die chinesischen Übernehmer in der Regel auf eine nachhaltige Entwicklung, so ein Ergebnis einer Teilstudie der Hans-Böckler-Stiftung im Rahmen des Projekts »ChinaInvest«.
Der ehemalige Gewerkschaftssekretär des IG Metall Bezirks München, Wolfgang Müller, hatte Betriebsräte und Gewerkschafter*innen von 42 Unternehmen mit über 55 000 Beschäftigten über ihre Erfahrungen befragt, nachdem das Unternehmen von chinesischen Investoren übernommen wurde. Die meisten Arbeitnehmervertreter*innen bewerteten den Einstieg des chinesischen Investors bislang als positiv: Arbeitsbeziehungen, Mitbestimmungskultur und Tarifstandards sind nach dem Einstieg im Wesentlichen unverändert. Wo chinesische Investoren Unternehmen mit Betriebsratsstrukturen übernahmen, bleiben diese unangetastet. Die Betriebe, in denen die früheren Eigentümer die Gründung von Betriebsräten hintertrieben hatten, blieben auch danach betriebsratsfrei. In Unternehmen mit mitbestimmten Aufsichtsräten arrangieren sich die neuen Eigentümer mit der für sie fremden Unternehmensmitbestimmung und entsenden Vertreter in die Aufsichtsräte. War das Unternehmen tarifgebunden, wurde die Tarifbindung vom Investor aus Asien nicht angetastet.
Müller kommt zu dem Ergebnis: Die chinesischen Investoren wenden nach ihrem Einstieg zum Teil erhebliche Mittel auf, um die Unternehmen zukunftsfähig zu machen. Investiert wird nicht nur in Forschung und Entwicklung, sondern auch in neue Produktionsanlagen und Werke. Oft handelt es sich um Investitionen, die die vorherigen Eigentümer - ob Mittelständler, Konzern oder Finanzinvestor - immer wieder aufgeschoben hatten. Nach Aussagen der befragten Gewerkschafter*innen sind die chinesischen Investitionen in der Regel langfristig angelegt. Befürchtete Arbeitsplatzverluste haben sich bislang nicht bestätigt. Im Gegenteil: Auch bei aktuellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten im investierten Unternehmen würde die Langfrist-Perspektive beibehalten und weitere Investitionen getätigt, so die Befragten.
Auch aus den Daten des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) lässt sich nicht ableiten, dass die Sorgen vor einem Ausverkauf oder dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit nach einem Einstieg chinesischer Investoren gerechtfertigt sind. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau hält die von der Großen Koalition in Berlin verbreitete Sorge vor einem Technologietransfer für »keine reale Gefahr«. Entsprechend werden die geplanten Verschärfungen der Regelungen im Außenwirtschaftsgesetz seitens der Bundesregierung eher skeptisch beurteilt, schließlich sei Deutschland auf ein »offenes Investitionsklima« angewiesen.
Traditionell lehnt die deutsche Industrie protektionistische Maßnahmen ab, Einschränkungen sollen nur zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung möglich sein. »Protektionismus und Abschottung haben keine Zukunft«, erklärte BDI-Präsident Dieter Kempf. Während US-Präsident Donald Trump die Vereinigten Staaten abschotte, würden die Chancen sowie Wachstumsmärkte für deutsche Unternehmen in Asien liegen. Die Unterstützung durch einen chinesischen Investor könne der Schlüssel zum Eintritt in den gesamtasiatischen Markt werden. Unbestritten sei zudem, dass es den einen oder anderen Mittelständler ohne die Investoren aus Fernost nicht mehr geben würde.
Während der Bundeswirtschaftsminister in der Abwehr der »gelben Gefahr« hoch engagiert ist, scheint er gegenüber Finanzinvestoren keinerlei regulative Fantasie entwickeln zu wollen. Dabei gäbe es viel zu tun, wie die Fusion der deutschen Linde AG mit dem US-Konkurrenten Praxair zum größten Industriegase-Konzern der Welt deutlich macht - eine Fusion, »bei der Blackrock auf beiden Seiten große Aktienpakete hält«, wie es im »Tagesspiegel« hieß. »›Davon profitieren nur die Aktionäre‹, berichtet Gernot Hahl, der Vorsitzende des Konzern-Betriebsrats bei Linde. ›Für unsere Leute wird das sehr bitter‹, sagt er. Obwohl Linde ein gesundes Unternehmen ist, sollen allein in Deutschland 5000 Arbeitsplätze gestrichen werden. Die in Deutschland geltende Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat wollen die Manager auch gleich abschaffen. Dafür wird die Firmenzentrale nach Irland verlegt.« Was würde Altmeier sagen, wenn statt Blackrock ein chinesischer Investor im Spiel wäre?
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