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»Ganz klar: Wir wollen Meter machen«
Sachsens LINKE-Chefin Antje Feiks über ehrgeizige Wahlziele, »Aufstehen« und mögliche Koalitionen mit der CDU
Sachsens LINKE hat für die Landtagswahl 2019 erstmals die Basis über Programm und Spitzenkandidat abstimmen lassen. Wie fit ist die Partei nun für das Wahljahr?
Ich habe das Gefühl, dass der Prozess gut für Herzen wie Hirne war. Die breite Debatte empfanden viele als wohltuend. Jetzt erarbeiten wir eine gute Wahlstrategie und überlegen, wie wir die Ideen der Genossen praktisch im Wahlkampf umsetzen. Neben den konkreten Themen wollen wir deutlich machen, dass wir eine sozialistische Partei sind und zu unseren Werten stehen.
Am ersten Mitgliederentscheid beteiligte sich gut die Hälfte der Mitglieder. Sind sie enttäuscht?
Ich bin eher angenehm überrascht, auch im Vergleich zu anderen Parteien. Als die FDP 1995 über den hoch umstrittenen Großen Lauschangriff abstimmte, lag die Beteiligung bei 43 Prozent; als das Programm der neu gegründeten LINKEN beschlossen wurde, waren es knapp 49 Prozent. Bei uns war der Zeitraum zur Abstimmung mit etwa zwei Wochen recht kurz und eine Onlineabstimmung nicht möglich. Da empfinde ich die Beteiligung als gutes Signal. Das ist ein Modell mit Zukunft.
Fehlte es an Spannung, weil sich nur einer als Spitzenkandidat bewarb?
Vielleicht hätte ein breiteres Bewerberfeld fünf Prozent mehr gebracht. Ich halte das Experiment dennoch für gelungen. Dass sich außer Rico Gebhardt niemand beworben hat, deute ich als starkes Zeichen für ihn; offenbar war niemand der Ansicht, dass er mit ihm als Spitzenkandidaten gar nicht leben kann. Es zeigt auch, dass manche Kontroverse in Gremien oder unter Funktionären an der Basis keine Rolle spielt. Das Votum von 88,7 Prozent halte ich jedenfalls für sehr überzeugend.
Abgestimmt wurde auch über Thesen des Programms. Die LINKE will für ein weltoffenes Sachsen eintreten oder gegen Altersarmut. Was an dem Votum hat sie überrascht?
Ich hätte vermutet, dass der Vorschlag für einen kostenlosen öffentlichen Nahverkehr mehr Gewicht bekommt; ich bin auch überrascht, dass ein »Großstadtthema« wie bezahlbare Mieten so viel Rückhalt hat, obwohl auf dem Land die Probleme ja etwas anders liegen.
Von der Basis kamen 156 Thesen, auch heikle wie zu Russland. Zur Abstimmung standen nur 15. Wurde da Potenzial verschenkt?
Natürlich ist vorstellbar, künftig auch kontroversere Themen zur Wahl zu stellen. Man darf aber nicht vergessen: Es war eine Premiere. Wir werden sicher mit jeder derartigen Abstimmung besser. Jetzt stehen jedenfalls die Themen, mit denen wir uns im öffentlichen Raum im Wahlkampf zeigen. Daneben beschließen wir im Juni ein umfangreiches »Voll-Wahlprogramm« als Arbeitsauftrag für die nächste Fraktion im Landtag.
Sie wissen, womit sie gern Wahlkampf bestreiten möchten. Oft setzen aber andere die Themen. Wie groß ist die Sorge, dass es im Herbst wieder nur um Zuwanderung geht?
Wir werden alles daran setzen, andere Themen genau so stark zu machen. Man löst die Probleme unserer Gesellschaft nicht, indem man nur auf einen kleinen Ausschnitt schaut. Wir wollen über die sozialen Aspekte von Gesundheit, Wohnen oder Löhnen sprechen und Lösungen für alle im Land anbieten.
Auch, weil es beim Thema Migration interne Differenzen gibt?
Die Partei- und Fraktionsspitzen im Bund haben sich auf einheitliche Positionen geeinigt; ich gehe davon aus, dass sie von allen mitgetragen werden und wir miteinander solide in das Wahljahr gehen können.
Sahra Wagenknecht formiert eine Sammlungsbewegung. Macht »Aufstehen« ihnen Schwierigkeiten?
Jeden Morgen (lacht). Im Ernst: Viele unserer Genossen sind aktiv in außerparlamentarischen Bewegungen: gegen das Polizeigesetz, beim Volksantrag zur Gemeinschaftsschule. So ist das auch bei »Aufstehen«. Das ist für uns keine Gefahr. Ich würde mich natürlich freuen, wenn viel Energie in unseren Wahlkampf gesteckt würde. Einen konkurrierenden Wahlantritt, das hat Sahra Wagenknecht versichert, wird es bei der Landtagswahl in Sachsen nicht geben.
Bei dieser will die LINKE ihr bisher bestes Ergebnis, also 23,4 Prozent aus dem Jahr 2004, übertreffen und »mindestens« um Platz 2 kämpfen. Umfragen lassen anderes erwarten.
Ganz klar: Wir wollen Meter machen und unser Ergebnis ausbauen. Es wird ja schon wieder viel darüber geredet, wer mit wem regieren könnte. Wir sind überzeugt: Das ist kontraproduktiv, weil damit die dringend notwendigen inhaltlichen Debatten in den Hintergrund treten. Es muss darum gehen, wo sich Parteien bei Bildung, Sozialem oder der Frage von Freiheitsrechten unterscheiden oder wo sie auf einer Wellenlänge liegen. Es muss um Ideen gehen, nicht nur um Prozente - und darum, wie ein weltoffenes, solidarisches, soziales Sachsen entstehen kann.
Wen sehen sie als Verbündete?
Neben vielen Engagierten in der Zivilgesellschaft natürlich SPD und Grüne. Es wird auch in der CDU Menschen geben, die nicht ganz so konservativ unterwegs sind. Um das herauszufinden, muss man aber über Inhalte und Themen reden - und nicht nur darüber, wer mit wem warum kann oder nicht.
Die Kernfrage am 1. September ist: Gibt es in Sachsen Schwarz-Blau? Wäre da nicht ein parteiübergreifendes Gegenmodell notwendig?
Es gibt das ja schon bei vielen Themen, etwa dem längeren gemeinsamen Lernen. Auch bei anderen Fragen sind LINKE, Grüne und SPD ähnlich unterwegs. Dort müssen wir uns im Wahlkampf sicher nicht noch gegenseitig zu übertrumpfen suchen. Ich fände es klüger, wenn wir uns an den Konservativen abarbeiten.
Stattdessen werfen manche ihrer Genossen aber Grünen und SPD vor, diese rückten nach rechts.
Bei den Grünen und bei uns sehe ich ein ähnliches Bestreben, sich auf Themen zu konzentrieren. Es gibt - aufgrund von Beschlüssen auf Parteitagen - auch Gespräche zwischen den Parteien. Bei der SPD (die in Sachsen seit 2014 mit der CDU koaliert und sich laut Landeschef Martin Dulig eine Fortsetzung nach der Wahl vorstellen kann - d.Red.) muss man sehen, was passiert. Kritische Reflexe in Richtung der beiden Parteien mag es bei uns geben. Ich finde aber, man sollte den Blick eher darauf lenken, wie sich die CDU in Sachsen der AfD immer weiter annähert.
Womöglich gibt es am Wahltag nur zwei Optionen: CDU und AfD - oder CDU und LINKE. Stünden sie bereit, Schwarz-Blau zu verhindern?
So, wie sich das Verhältnis im Landtag derzeit darstellt, ist schwer vorstellbar, dass man zueinander kommt. Die CDU ist in Sachsen als Staatspartei unterwegs; es gibt keine demokratische Kultur des Umgangs zwischen Regierung und linker Opposition wie in anderen Landtagen. Das wäre für uns aber Mindestvoraussetzung, um über eine Zusammenarbeit nachzudenken. Andererseits kann ein Wahlergebnis bei einer Partei auch einen Sinneswandel bewirken. Wie wir reagieren würden, wenn es nur ein Entweder-Oder gäbe, haben wir bewusst noch nicht besprochen; erst einmal steht unser eigener Wahlkampf im Vordergrund. Wofür wir dann gegebenenfalls bereit wären, muss die Partei entscheiden: zügig, mit breiter Beteiligung und, wenn es nach mir ginge, auch unter Einbeziehung von Modellen, die hierzulande noch nicht so häufig erprobt wurden.
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