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Eilprozesse im Schneckentempo
Drei Jahre nach dem Naziüberfall in Connewitz gibt es nur wenige und meist milde Urteile
Ein Schelm, wer Arges dabei denkt: Kurz bevor am gestrigen Donnerstag am Amtsgericht in Leipzig der sechste Prozess zum Überfall von rund 250 Nazis auf den Stadtteil Connewitz hätte stattfinden sollen, wurde die Verhandlung abgesagt - offiziell, weil ein Verteidiger erkrankt sei. Just an dem Tag wäre der Gerichtssaal wohl sehr voll geworden: Weil sich der Überfall an diesem Freitag zum dritten Mal jährt, hatte die Kampagne »Rassismus tötet« nicht nur zu einer Kundgebung vor dem Gericht aufgerufen, sondern wollte auch ermöglichen, »sich den Prozess und die Täter anzuschauen«. Das fiel aus; die Kundgebung wurde um einen Tag verschoben und zudem in die Wolfgang-Heinze-Straße verlegt.
Durch diese war am Abend des 11. Januar 2016 ein Trupp Vermummter gezogen und hatte, wie die Staatsanwältin in der ersten Gerichtsverhandlung im August 2018 formulierte, »eine Schneise der Verwüstung« hinterlassen. Sie entzündeten Bengalos und schlugen mit Stangen, Stöcken und Äxten Scheiben von Geschäften und Autos ein. Es handelte sich jedoch um mehr als Vandalismus. Unter den Tätern, so zeigt eine von Antifakreisen publizierte Namensliste, finden sich Mitglieder von Kameradschaften, NPD-Funktionäre, Fußballhooligans, Anhänger der verbotenen Gruppe »Blood & Honour« sowie Kampfsportler. Sie stammen nicht nur aus dem Leipziger Umland, sondern auch aus Dresden, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Berlin-Brandenburg. Der Angriff auf das als linksalternativ geltende Viertel erfolgte an einem Tag, an dem viele seiner Bewohner in die Innenstadt gefahren waren, um dort gegen die Kundgebung zum ersten Jahrestag der Legida-Bewegung zu protestieren. Hannes Heinze, der Sprecher von »Rassismus tötet«, sieht in der Aktion »einen der größten« und am besten organisierten Neonaziangriffe in Sachsen.
Erkenntnisse über Drahtzieher und Hintergründe erhoffte sich mancher im Viertel von der Prozessserie, die im August am Amtsgericht Leipzig begann und von der bereits damals klar war, dass sie lange laufen würde. Die meisten der mehr als 200 Angeklagten müssen sich jeweils paarweise in fast 100 Verfahren in Leipzig, Grimma, Torgau und Eilenburg verantworten. Einige stehen zudem in Dresden im Rahmen von Prozessen gegen die »Freie Kameradschaft Dresden« vor Gericht.
In den fünf Monaten seither haben fünf Prozesse stattgefunden; der für diese Woche geplante sechste ist nun auf den Sommer verschoben. Ein siebter soll am 23. Januar stattfinden. Wenn es in dem Tempo weitergeht, ziehen sich die Verfahren »noch Jahre hin«, sagt Juliane Nagel, in Connewitz direkt gewählte Landtagsabgeordnete der Linkspartei: »Das ist ernüchternd und entspricht ganz und gar nicht den Erwartungen.«
Während die juristische Aufarbeitung insgesamt im Schneckentempo vorangeht, wird in den einzelnen Verhandlungen inzwischen aber kurzer Prozess gemacht. Hörte der Richter im ersten Verfahren noch etliche Zeugen an, darunter geschädigte Anwohner, und fällte sein Urteil erst am zweiten Tag, so dauern die Verhandlungen inzwischen nur noch wenige Stunden. Sie folgen einem Muster, das im zweiten Verfahren von einem Anwalt angeregt wurde, der im Münchner NSU-Prozess Ralf Wohlleben verteidigt hatte. Gericht, Anklage und Verteidigung treffen seither in aller Regel Verfahrensabsprachen: Die Angeklagten werden zu Bewährungsstrafen verurteilt, wenn sie Geständnisse ablegen. Seither wurden sieben Mittäter wegen schweren Landfriedensbruchs zu 16 bis 18 Monaten Haft verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurden; dazu gab es Geldstrafen. Im ersten Prozess, in dem die Angeklagten schwiegen, verurteilte der Richter sie zu einem Jahr und acht Monaten Gefängnis ohne Bewährung. Seither lehnte nur ein Angeklagter einen Deal ab; der Rechtsreferendar strebte ein geringes Strafmaß an, um seine Karriere zu retten - was misslang.
Ansonsten läuft es nach dem Muster: Geständnis, Urteil, Geständnis, Urteil - wobei die Einlassungen in aller Regel dürftig ausfallen und sich die Angeklagten als Mitläufer darstellen. Für das Gericht ist das eine effiziente Strategie, die wohl der Zahl ausstehender Verfahren sowie dem Dilemma gerecht werden soll, dass keinem Täter konkrete Handlungen jenseits des bloßen Dabeiseins nachzuweisen sind. Die Signalwirkung ist freilich »fatal«, wie ein Reporter des Magazins »Spiegel« im Dezember formulierte.
Nagel sieht das ähnlich: Viele Bewohner des Viertels hätten mittlerweile den Eindruck, es gebe »keinen Aufklärungswillen« bei Gericht. Das, fügt sie an, »nährt verbreitete Skepsis«, dass Sachsens Justiz in Fällen rechter Gewalt angemessen urteilt. Und Hannes Heinze klagt, dass die »Perspektive der betroffenen Menschen« in den Prozessen gar keine Rolle mehr spielt.
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